Im entscheidungsrelevanten Sachverhalt hat das Land Vorarlberg als Auftraggeber im Februar 2021 einen Auftrag zur Erhöhung der Kapazitäten bereits bestehender COVID-19-Testungen vergeben. Aufgrund der kurzfristig erlassenen 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung und der COVID-19-Einreiseverordnung war es für den Auftraggeber zwingend erforderlich, die bisherigen Testkapazitäten mehr als zu verdoppeln. Aufgrund der bestehenden Dringlichkeit hat der Auftraggeber für diese Kapazitätserhöhung ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung gemäß § 37 Abs 1 Z 4 BVergG 2018 mit jenem Auftragnehmer durchgeführt, der bereits das bisherige Testangebot im Land abgewickelt hat. Diese Erhöhung der Testkapazitäten wurde nur als kurzfristige Überbrückung bis zum Abschluss eines kurz darauf durchgeführten offenen Verfahrens mit europaweiter Bekanntmachung beauftragt.

Ein Testanbieter ging gegen dieses Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung mit nur einem Bieter mit einem Feststellungsantrag vor. Dieser Antrag war zum einen auf die Feststellung einer vergaberechtswidrigen Verfahrenswahl und zum anderen darauf gerichtet, dass der geschlossene Vertrag für nichtig erklärt wird. Vor diesem Hintergrund ist zu berücksichtigen, dass nach § 37 Abs 1 Z 4 BVergG 2018 ein Dienstleistungsauftrag in einem Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben werden kann, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe, die nicht dem Verhalten des öffentlichen Auftraggebers zuzuschreiben sind, im Zusammenhang mit Ereignissen, die der öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, ein sonstiges reguläres Verfahren durchzuführen. Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg wies die Anträge des Antragstellers als unbegründet ab. Gegen dieses Erkenntnis hatte der Testanbieter eine Revision beim VwGH eingebracht.

Aufgrund dieser Revision hatte der VwGH im Wesentlichen die Frage zu klären, ob der Auftraggeber zu Recht den Überbrückungsauftrag nach Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung mit nur einem Bieter vergeben hat. Im Ergebnis erkannte der VwGH, dass mit den beiden im Februar 2021 kundgemachten COVID-Verordnungen und den darin vorgesehenen Testpflichten ein für den Auftraggeber unvorhersehbares Ereignis eingetreten war. Aus diesem Ereignis ergab sich auch der – nicht dem Auftraggeber zuzurechnende – äußerst dringliche und zwingende Grund, ausreichend Tests für die Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus bestätigte der VwGH, dass aufgrund der kurzen Zeitspanne zwischen Kundmachung und Inkrafttreten der Verordnungen die Einhaltung der gesetzlichen Mindestfristen, selbst die eines beschleunigten Vergabeverfahrens, mit vorheriger Bekanntmachung nicht möglich war. Letztlich hatte der VwGH zu entscheiden, ob im vorliegenden Fall das Verhandlungsverfahren berechtigt nur mit einem einzigen Bieter durchgeführt wurde. Dabei hatte der VwGH insbesondere auch unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH dargelegt, dass aufgrund der vorliegenden Rahmenbedingungen, die entscheidend durch die Dringlichkeit der beiden COVID-Verordnungen bestimmt sind, keine Verpflichtung bestanden hat, das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung mit mehreren Bietern durchzuführen. Im Ergebnis hat daher der VwGH die Revision als unbegründet abzuweisen.

Anmerkungen der AutorInnen:

Unsere Kanzlei hat den Auftraggeber erfolgreich sowohl im Feststellungs- als auch im Revisionsverfahren vertreten. Der VwGH schafft mit diesem Erkenntnis eine wichtige Auslegungshilfe für den Ausnahmetatbestand gemäß § 37 Abs 1 Z 4 BVergG 2018, der ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung aus Dringlichkeitsgründen ermöglicht. Wie der VwGH darauf hingewiesen hat, hat in Österreich eine klarstellende Rechtsprechung für die Wahl dieser Verfahrensart insbesondere bei Beschaffung von Leistungen zur Bekämpfung einer Pandemie gefehlt. Dabei war in der vergaberechtlichen Praxis insbesondere die Frage umstritten, ob das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung aus Dringlichkeitsgründen nur mit einem Bieter zulässig ist. Die mit dem vorliegenden Erkenntnis auch zu dieser Frage geschaffene Rechtssicherheit ist für die Anwendung dieser Verfahrensart auch für andere Beschaffungsvorhaben jedenfalls zu begrüßen.

VwGH 16.12.2022, Ro 2021/04/0028