Der EuGH hatte im vorliegenden Fall zu beurteilen, ob das Angebot eines Bieters zu einem Gesamt-Angebotspreis in Höhe von null Euro im Widerspruch zur Definition eines öffentlichen Auftrages nach Art 2 Abs 1 NR 5 der Richtlinie 2014/24 steht, weil keine Entgeltlichkeit vorliegt. Wenn dem so ist, sollte der EuGH weiters beurteilen, ob diese Vorschrift eine selbständige Rechtsgrundlage ist, um das Angebot auszuscheiden.
Im vorliegenden Rechtstreit hat das slowenische Innenministerium eine in zwei Lose unterteilte Ausschreibung bekanntgemacht. Bei dieser Ausschreibung ging es um die Vergabe eines Zuganges zu einem Rechtsinformationssystem über einen Zeitraum von 24 Monaten. Innerhalb der Angebotsfrist erhielt das Innenministerium für das Los 1 zwei Angebote. Ein Angebot wurde von Tax-Fin-Lex mit einem Gesamt-Angebotspreis von null Euro abgegeben. Tax-Fin-Lex wollte also die ausgeschriebene Dienstleistung kostenlos erbringen. Der geschätzte Gesamt-Auftragswert betrug hingegen EUR 39.959,01. Das slowenische Innenministerium hat das Angebot des Bieters Tax-Fin-Lex ohne vertiefte Angebotsprüfung mit der Begründung ausgeschieden, dass kein entgeltlicher Vertrag im Sinne des Art 2 Abs 1 Nr 5 der Richtlinie 2014/24 zustande kommen könne. Vielmehr liegt nach Ansicht des slowenischen Innenministeriums eine Schenkung vor, die im Widerspruch zu den Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge stehe. Im Zuge dessen wurde der Auftrag an den zweiten Bieter vergeben. Der Bieter Tax-Fin-Lex teilte die Ansicht des slowenischen Innenministeriums nicht und leitete ein Gerichtsverfahren mit der Begründung ein, dass das Angebot ohne vertiefte Angebotsprüfung ausgeschieden wurde. Das zuständige Gericht legte den Sachverhalt aufgrund zweier sich daraus ergebenden Vorlagefragen dem EuGH vor.
Zum einen sollte der EuGH klären, ob die Entgeltlichkeit des Angebots im Sinne des Art 2 Abs 1 Nr 5 der Richtlinie 2014/24 darin bestehen könne, dass der Bieter mit dem Auftrag einen Zugang zu einem neuen Markt bzw ein Referenzprojekt erlangen könnte. Dieser Marktzugang bzw das erlangte Referenzprojekt könne gegebenenfalls in späterer Folge für den Bieter einen wirtschaftlichen Nutzen und Wert darstellen. Falls es sich dabei nicht um einen entgeltlichen Vertrag im Sinne des Art 2 Abs 1 Nr 5 der Richtlinie 2014/24 handelt, sollte der EuGH zum anderen klären, ob die genannte Vorschrift eine selbstständige Rechtsgrundlage für das Ausscheiden des unentgeltlichen Angebots ist.
Vor Beantwortung der Vorlagefragen stellt der EuGH zunächst fest, dass der in Frage stehende Auftrag durch Nichterreichen des EU-Schwellenwertes in Höhe von EUR 144.000 für zentrale Auftraggeber (in Österreich siehe Anhang III zum BVergG) grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt. Nach ständiger Rechtsprechung ist aber eine Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften durch den Gerichtshof bei Sachverhalten, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften fallen, dennoch gerechtfertigt, wenn die Vorschriften vom nationalen Recht unmittelbar und unbedingt für auf diese Sachverhalte anwendbar erklärt worden sind, um zu gewährleisten, dass diese Sachverhalte und die durch die Vorschriften geregelten Sachverhalte gleichbehandelt werden. Dieses Kriterium wird im vorliegenden Fall insofern erfüllt, als der slowenische Gesetzgeber bei Umsetzung der Richtlinie 2014/24 die Definition des Begriffes „öffentlicher Auftrag“ übernommen hat, sodass die Begriffsdefinition für alle öffentlichen Aufträge unabhängig von ihrer Höhe gilt. Deshalb ist eine unionsrechtliche Auslegung geboten.
Zur Vorlagefrage, ob ein entgeltliches Angebot vorliegt, stellt der EuGH fest, dass das Wort „entgeltlich“ bedeutet, eine Leistung im Gegenzug für eine andere Leistung zu erbringen. Das darin bestehende Synallagma stellt ein wesentliches Merkmal eines öffentlichen Auftrags dar. Dabei muss die Gegenleistung nicht unbedingt die Zahlung eines Geldbetrages sein. Die Leistung kann auch durch andere Formen der Gegenleistung vergütet werden, wie etwa den Ersatz der entstehenden Kosten. Der synallagmatische Charakter eines Vertrages führt demnach zwangsläufig zu rechtlich zwingenden Verpflichtungen für jede Vertragspartei, die auch einklagbar sein müssen. Folglich ist ein Vertrag, für dessen Erfüllung keine konkrete Gegenleistung vorgesehen ist, kein entgeltlicher Auftrag. Das Vorbringen, die Gegenleistung würde im Zugang zu einem neuen Markt oder in einem Referenzprojekt bestehen, reicht aus Sicht des EuGH nicht aus, um eine Entgeltlichkeit anzunehmen, weil die Gegenleistung zu sehr vom Zufall abhängt.
Darüber hinaus stellt der EuGH fest, dass Art 2 Abs 1 Nr 5 der Richtlinie 2014/24 keine Rechtsgrundlage ist, auf die eine Ablehnung eines unentgeltlichen Angebotes gestützt werden kann. Die Bestimmung definiert lediglich den Begriff des öffentlichen Auftrags, um die Anwendbarkeit der Richtlinie zu regeln. Mit dieser Bestimmung ist es daher nicht möglich, das unentgeltliche Angebot automatisch auszuscheiden. Unter diesen Umständen muss daher bei einem derart ungewöhnlich niedrigen Preis das in Art 69 der Richtlinie 2014/23 vorgesehene Verfahren eingehalten werden: Der Bieter muss also im Rahmen einer vertieften Angebotsprüfung um Aufklärung zur Angebotskalkulation ersucht werden. Ein Angebot darf jedenfalls nicht automatisch allein aus dem Grund abgelehnt werden, dass der vorgeschlagene Preis null Euro beträgt. Nur wenn das entsprechende Aufklärungsschreiben des Bieters betriebswirtschaftlich nicht erklär- und nachvollziehbar ist, darf das Angebot ausgeschieden werden. Die Klärung dieser Fragestellung obliegt dem vorlegenden slowenischen Gericht und nicht dem EuGH.
Anmerkung der Autoren:
Das vorliegende Urteil zeigt einmal mehr, dass ein automatisches Ausscheiden wegen eines nicht plausibel erscheinenden Angebotspreises ohne Aufklärungsersuchen und der damit verbundenen Möglichkeit einer entsprechenden Erläuterung der Kalkulation vergaberechtlich jedenfalls unzulässig ist. Sollte bei einem vergleichbaren Fall in Österreich ein Aufklärungsersuchen übermittelt werden, erscheint es jedoch nach derzeitiger Rechtsprechung der österreichischen Vergabekontrollbehörden äußerst fraglich, ob der Bieter allein mit den Argumenten des Marktzugangs und eines Referenzprojekts das Ausscheiden verhindern kann. Soweit ersichtlich, stellen die Vergabekontrollbehörden immer sehr detailliert darauf ab, ob die Kalkulation als solches betriebswirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar ist. Bei einem Preis von null Euro gibt es aber zwangsläufig gar keine Kalkulation, sodass nur eine Rechtfertigung mit den Argumenten des Marktzugangs und eines Referenzprojekts in Betracht kommt. Von besonderem Interesse in diesem Zusammenhang sind jedenfalls folgende Ausführungen des EuGH in den Randnummern 32 und 35 des Urteils: „So ergibt sich aus Art 69 Abs 1, dass die öffentlichen Auftraggeber, wenn ein Angebot ungewöhnlich niedrig erscheint, dem Bieter vorschreiben, die im Angebot vorgeschlagenen Preise oder Kosten zu erläutern, wobei sich diese Erläuterungen insbesondere auf die in Abs 2 dieses Artikels genannten Punkte beziehen können. Diese Erläuterungen tragen somit zur Bewertung der Verlässlichkeit des Angebots bei und ermöglichen den Nachweis, dass sich das in Rede stehende Angebot, obwohl es einen Preis von null Euro vorschlägt, nicht auf die ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags auswirken wird. […] Daher ist das Vorbringen eines Bieters, der ein Angebot zu einem Preis von null Euro eingereicht hat, nach dem sich der in seinem Angebot vorgeschlagene Preis dadurch erkläre, dass er im Fall der Annahme dieses Angebots den Zugang zu einem neuen Markt oder zu Referenzen zu erhalten gedenke, im Zusammenhang mit einer etwaigen Anwendung von Art 69 der Richtlinie 2014/24 zu prüfen.“ Insbesondere aus diesen Ausführungen lässt sich ableiten, dass der EuGH bei einem Preis von null Euro eine Rechtfertigung allein mit den Argumenten des Marktzugangs und eines Referenzprojekts nicht für ausgeschlossen hält. Unseres Erachtens wäre es im Interesse einer vereinfachten Angebotsprüfung und damit insgesamt einer vereinfachten Verfahrensdurchführung jedenfalls zu begrüßen, wenn durch die Rechtsprechung die Anforderungen an die vertiefte Angebotsprüfung gelockert werden. Dies könnte tatsächlich dadurch erreicht werden, dass Argumente betreffend Marktzugang, Referenzprojekte etc deutlich umfassender bei Beurteilung der betriebswirtschaftlichen Erklär- und Nachvollziehbarkeit berücksichtigt werden dürften. Rechtspolitisch erscheint es wohl nur schwer nachvollziehbar, dass es einem öffentlichen Auftraggeber nach Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung (!) verwehrt ist, ein Angebot anzunehmen, mit dem sich ein finanziell und wirtschaftlich sowie technisch leistungsfähiges Unternehmen verpflichtet, die ausgeschriebenen Leistungen kostenlos zu erbringen.