Gemäß § 9 Abs 1 des Betrieblichen Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetzes (BMSVG) hat die Auswahl der betrieblichen Vorsorgekasse rechtzeitig durch eine Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nach dem Arbeitsverfassungsgesetz zu erfolgen. Für Arbeitnehmer, die von keinem Betriebsrat vertreten werden, räumt § 9Abs 2 BMSVG einem Drittel der Arbeitnehmer das Recht ein, der Auswahl der betrieblichen Vorsorgekasse durch den Arbeitgeber zu widersprechen. Folglich ist der Abschluss eines Vertrages über die betriebliche Vorsorge zwischen Arbeitgeber und betrieblicher Vorsorgekasse nicht allein vom Willen des Arbeitgebers abhängig, sondern bedarf zusätzlich der Zustimmung durch den Betriebsrat bzw die Arbeitnehmerschaft.

Vor diesem Hintergrund stellt sich Rechtsfrage, ob der Abschluss eines solchen Vertrages zwischen öffentlichem Auftraggeber und betrieblicher Vorsorgekasse von den vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten der EU-Richtlinie 2014/24/EU erfasst ist. Im Konkreten hat sich diese Frage bei Abschluss von Beitrittsverträgen zwischen Bundestheater-Holding, Burgtheater GmbH, Wiener Staatsoper GmbH, Volksoper Wien GmbH sowie ART for ART Theaterservice GmbH einerseits und fair-finance Vorsorgekasse AG andererseits ergeben. Dieser Vertragsabschluss wurde von den öffentlichen Auftraggebern letztlich nicht öffentlich nach den Vorgaben des BVergG 2006 ausgeschrieben. Aus diesem Grund wandte sich die Allianz zunächst an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte die Feststellung, dass der Abschluss dieser Beitrittsverträge mit fair-finance durch die betroffenen Gesellschaften ohne vorherige Bekanntmachung und ohne Mitteilung der Zuschlagsentscheidung rechtswidrig war. Die Allianz stützte ihren Antrag darauf, dass der Abschluss der betreffenden Verträge dem BVergG 2006 unterliege. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht diesen Antrag zurückwies, brachte die Allianz beim Verwaltungsgerichtshof eine Revision ein. Der Verwaltungsgerichtshof wandte sich daraufhin im Zuge eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH zur Klärung der in diesem Verfahren aufgeworfenen Frage. Dabei war insbesondere zu klären, ob die EU-Richtlinie 2014/24/EU auf den Abschluss von Verträgen mit betrieblichen Vorsorgekassen anwendbar ist, wenn für den Vertragsabschluss und damit für die Auswahl der Vorsorgekasse nicht allein der öffentliche Auftraggeber entscheidungsbefugt ist, sondern auch die Zustimmung des Betriebsrates bzw der Arbeitnehmerschaft erforderlich ist.

Der EuGH wies in dem nunmehr vorliegenden Urteil zunächst darauf hin, dass der Wert des Auftrags auf EUR 174.000,00 geschätzt wird und daher unter dem seinerzeitigen EU-Schwellenwert von EUR 209.000,00 liegt. Demzufolge ist zwar die EU-Richtlinie 2014/24/EU als solches nicht auf den konkreten Auftrag anzuwenden. Dennoch hat aber der öffentliche Auftraggeber bei Aufträgen, die aufgrund ihres Wertes nicht in den Anwendungsbereich der EU-Richtlinie 2014/24/EU fallen, die allgemeinen Grundsätze des EU-Vertrages zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr sowie die daraus folgenden Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz. Der Gerichtshof führte hierzu aus, dass das Mitentscheidungsrecht des Betriebsrats bei der Wahl der Vorsorgekasse bzw das Recht eines Drittels der Arbeitnehmer, dieser Wahl zu widersprechen, ein Element des Grundrechts auf Kollektivverhandlungen ist. Dass ein Auftrag in Form eines Kollektivvertrages vergeben wird, bedeutet aber nicht per se, dass der öffentliche Auftraggeber keinen Einfluss auf die Auswahl der Vorsorgekasse hat. Vielmehr wird der Beitrittsvertrag gerade zwischen Arbeitgeber und Vorsorgekasse abgeschlossen, wodurch der öffentliche Aufraggeber einen solchen Einfluss auf die Auswahl der Vorsorgekasse hat. Demnach wird also ein öffentlicher Auftraggeber durch Ausübung der genannten Kollektivverhandlungsrechte nicht von den vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten befreit, sodass im vorliegenden Fall die allgemeinen Vergaberechtsgrundsätze beim Vertragsabschluss zu berücksichtigen sind. Dabei hat der öffentliche Auftraggeber im Besonderen das Transparenzgebot einzuhalten, das die Berücksichtigung eines angemessenen Grades an Öffentlichkeit fordert. Dadurch ist zum einen die Öffnung für den Wettbewerb und zum anderen die Nachprüfung zu ermöglichen, ob das Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt wurde. Da im vorliegenden Fall diese Vergaberechtsgrundsätze im Sinne der EU-Richtlinie 2014/24/EU nicht eingehalten wurden, weil der Vertrag direkt ohne öffentliches Vergabeverfahren abgeschlossen wurde, ist die direkte Beauftragung der fair-finance vergaberechtswidrig.

EuGH 4.4.2019, Rs C-699/17