Die vertiefte Angebotsprüfung dient der Überprüfung der Angemessenheit der angebotenen Preise im Vergabeverfahren und soll dadurch insbesondere verhindern, dass Zuschläge auf Angebote erteilt werden, die zu wirtschaftlich nicht nachvollziehbaren Preisen kalkuliert und angeboten wurden. Die sich aus § 137 BVergG 2018 (vormals § 125 BVergG 2006) ergebende Verpflichtung des Auftraggebers eine vertiefte Angebotsprüfung bei Vorliegen eines ungewöhnlich niedrigen Gesamtpreises, zu hoher oder zu niedriger Einheitspreise in wesentlichen Positionen oder generell bei begründetem Zweifel an der Preisangemessenheit vorzunehmen, dient insbesondere auch zur Sicherstellung der Bietergleichbehandlung, der Transparenz sowie des fairen Wettbewerbs. Der VwGH hatte sich nun – noch zur alten Rechtslage des BVergG 2006 – insbesonderemit der Frage auseinanderzusetzen, ob die in § 125 Abs 4 BVergG 2006 aufgezählten Prüfkriterien taxativ oder demonstrativ zu verstehen sind.
Dem Erkenntnis des VwGH war eine Vergabe von Generalsanierungsarbeiten im Oberschwellenbereich im Rahmen eines offenen Verfahrens vorangegangen, für welches der zweitgereihte Bieter die Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich beantragte. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, die Preisgestaltung des Zuschlagsempfängers sei nicht wirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar. Das Landesverwaltungsgericht hielt hierzu fest, dass – entgegen der Rechtsansicht der Auftraggeberin, wonach sich die wirtschaftliche Erklär- und Nachvollziehbarkeit der Preisgestaltung auch aus Erfahrungswerten früherer, ähnlicher Projekte ergeben könne–die aus Erfahrungswerten abgeleitete Erklär- und Nachvollziehbarkeit gerade nicht ausreiche.
Der VwGHteilte die Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichtes nicht und hob dasErkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes aufgrund einer außerordentlichen Revision der zweitgereihten Bieterin auf. Der Gerichtshof verwies dabei zunächst auf seine ständige Rechtsprechung, dass es Aufgabe des Auftraggebers ist, die Angemessenheit der Preise zu beurteilen. Die Vergabekontrollbehörde hat nicht nur zu prüfen, ob die betriebswirtschaftliche Erklär- und Nachvollziehbarkeit von sachkundigen Personen aufgrund ausreichend detaillierter Unterlagen geprüft worden ist. Sie hat vielmehr – ebenso wie der Auftraggeber bei der vertieften Angebotsprüfung – unterBerücksichtigung der auch dem Auftraggeber zur Verfügung gestandenen Unterlagen die Preisgestaltung auf ihre betriebswirtschaftliche Erklär- und Nachvollziehbarkeit in der Regel aus sachverständiger Sicht zu prüfen, wobei im Einzelnen die in § 125 Abs 4 Z 1bis3 BVergG 2006 genannten Kriterien maßgeblich sind. Im Sinne einer Plausibilitätsprüfungist dabei aber nur eine grobe, nicht jedoch eine detaillierte Überprüfung der Angebotskalkulation dahingehend notwendig, ob eine seriöse Leistungserbringung zu den angebotenen Preisen möglich ist (vglVwGH 17.9.2014; 2012/04/0016 sowie VwGH 22.11.2011, 2007/04/0201 und VwGH 28.9.2011, Zl 2007/04/0101). Für eine nicht plausible Preiszusammensetzung des Gesamtpreises reicht es bereits aus, dass Teilpreise bzw vom Auftraggeber als wesentlich gekennzeichnete Einheitspreise nicht wirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar sind. Die Prüfung selbst hat anhand der in § 125 Abs 4 BVergG aufgezählten Kriterien zu erfolgen. Diese Aufzählung ist nicht abschließend und erlaubt somit auch andere als die genannten Kriterien zur Angebotsprüfung heranzuziehen (VwGH 21.12.2016, Ra 2016/04/0132; vgl hierzu auch den Wortlaut des § 125 Abs 4 BVergG 2006„[…] geprüft werden kann insbesondere […]“ [Unterstreichung vom Zitierenden]). Die Heranziehung von Erfahrungswerten aus vergleichbaren früheren Verfahren zur Darlegung der wirtschaftlichen Erklär- und Nachvollziehbarkeit ist daher zulässig. Eine Berücksichtigung von Angeboten mit nicht plausibler Preiszusammensetzungist, entsprechend der zwingenden Regelung des § 129 Abs 1 Z 3 BVergG 2006, unzulässig; hierbei kommt dem Auftraggeber kein Beurteilungsspielraum zu (vglVwGH 21.3.2011, 2008/04/0083).
Anzumerken ist, dass sich das Erkenntnis zwar auf die alte Rechtslage des BVergG 2006bezieht. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass – aufgrund der im Kern gleich gebliebenen Bestimmungen zur vertieften Angebotsprüfung – die Rechtsansicht des VwGH auch für die neue Rechtslage des BVergG 2018 gilt. Insofern stellt dieses Erkenntnis des VwGH jedenfalls eine wichtige und zu begrüßende Klarstellung dar, welche die vertiefte Angebotsprüfung in der Praxis erleichtern wird. Wenn nämlich der Auftraggeber nachweisen kann, dass die Angebotspreise seinen Erfahrungswerten oder einfach seinen bisher bezahlten Angebotspreisen entsprechen, ist eine weitergehende vertiefte Angebotsprüfung nicht mehr erforderlich. Das kann den Prüfungsaufwand des Auftraggebers in der Praxis deutlich reduzieren, weil die bisherige Rechtsprechung zum Teil dem Auftraggeber sehr umfassende Prüfschritte und Nachweise auferlegt hat.