Aufgrund der derzeit bestehenden Flüchtlingssituation, welche die Einleitung unmittelbarer Schritte durch die zuständigen Behörden zur Versorgung der Flüchtlinge notwendig macht, sah sich die Kommission gefordert, eine Mitteilung zur Anwendbarkeit des Vergaberechts zu veröffentlichen (COM[2015] 454 final). Diese Mitteilung dient dem Aufzeigen der im Vergaberecht vorgesehenen Möglichkeiten, mit denen bei einem derartigen unvorgesehenen Ereignis wie dem massiven Zustrom von Flüchtlingen zeitnah Abhilfe geschaffen werden kann. Neben allgemeinen Aussagen zur Anwendbarkeit des Vergaberechts sind insbesondere die Ausführungen zu den im Oberschwellenbereich bestehenden Möglichkeiten von Fristverkürzungen sowie des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung von Interesse.

Explizit verwiesen wird auf Art. 38 Abs. 8 2004/18/EG welcher auch in der neuen Vergaberechtsrichtlinie eine Entsprechung findet (Art. 28 Abs. 6, 2014/24/EG). Dieser, mit § 63 BVergG in nationales Recht umgesetzter, Vorschrift zufolge ist es möglich, in bestimmen Fällen eine drastische Verkürzung der Teilnahme- und Angebotsfristen im Oberschwellenbereich herbeizuführen. Sofern aus Gründen der Dringlichkeit die Einhaltung der regulären oder der verkürzten Fristen gemäß §§ 59 bis 62 BVergG nicht möglich ist, können im nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung Angebotsfristen von 10 Tagen und im Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung Teilnahmefristen von 15 Tagen (10 Tage bei elektronischer Verfahrensabwicklung) vorgesehen werden.

Eine weitere Option besteht in der Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung mit mehreren Bewerbern (§§ 28 Abs. 2 Z 3, 29 Abs. 2 Z 3 sowie 30 Abs. 2 Z 3 BVergG). Sofern (i) dringliche, zwingende Gründe, die nicht dem Verhalten des Auftraggebers zuzuschreiben sind, im Zusammenhang mit (ii) Ereignissen, die der Auftraggeber nicht voraussehen konnte vorliegen und die Nutzung insbesondere auch beschleunigter Verfahrensarten nicht zulassen, kann hierauf zurückgegriffen werden. Die Voraussetzung der Unvorhersehbarkeit wird aufgrund der akuten Flüchtlingswelle jedenfalls gegeben sein. Ebenso wird in der Notwendigkeit der unmittelbaren Versorgung der Flüchtlinge ein dringlicher, zwingender Grund für die Durchführung zu erblicken sein (so auch die Kommission in ihrer Mitteilung). Nichtsdestotrotz hat stets eine Einzellfallbeurteilung zu erfolgen. Insbesondere ist zu bedenken, dass die Berufung auf die zwingende Dringlichkeit eine unverzügliche Deckung des Bedarfs erfordert (vgl EuGH 20.6.2013, Rs C-352/12). Hierzu muss die Auftragsvergabe in diesem Ausnahmeverfahren jedenfalls schneller erfolgen, als dies durch die regulären oder beschleunigten Verfahrensarten möglich wäre. Ebenso ist diese Verfahrensart nur insoweit zulässig, als dies unbedingt erforderlich ist und hat somit den Charakter einer Überbrückungshilfe.

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass selbst in der momentanen Situation ein sorgfältiges Abwägen der zu nutzenden vergaberechtlichen Werkzeuge zu erfolgen hat. Insbesondere besteht die Möglichkeit des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung wohl nur dann, wenn eine Bedürfnisdeckung der Flüchtlinge auf andere Weise nicht oder nicht zeitgerecht erfolgen kann.