Nach den derzeitigen Regelungen im österreichischen Vergaberecht, ist die Geltendmachung eines Schadenersatzes aufgrund einer rechtswidrigen Auftragsvergabe von der vorhergehenden Feststellung der Rechtswidrigkeit durch die Vergabekontrollbehörde abhängig (Prozessvoraussetzung). Ein solcher Antrag auf Feststellung muss – unabhängig vom Wissen des Antragstellers von der Auftragsvergabe – längstens binnen einer sechsmonatigen Präklusionsfrist ab dem der Zuschlagserteilung folgenden Tag eingebracht werden. Der EuGH hatte sich in einem Vorabentscheidungsverfahren damit zu befassen, ob diese absolute sechsmonatige Frist unionsrechtskonform ist.

Ausgangspunkt dieses Vorabentscheidungsverfahrens war die Vergabe von IT-Leistungen zur Durchführung eines Pilotprojektes für das Projekt e-Medikation in drei Pilotregionen einschließlich der dafür erforderlichen Errichtungs- und Betriebsleistungen (Elektronische Gesundheitsakte – ELGA) durch den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Diese Leistungen wurden direkt vergeben; ein öffentliches Vergabeverfahren hat nicht stattgefunden. Nachdem ein Interessent von dieser Vergabe erfahren hatte, brachte er einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verfahrens ein, weil die Beauftragung seines Erachtens als unzulässige Direktvergabe erfolgte. Dieser Antrag wurde noch vom seinerzeit zuständigen Bundesvergabeamt als unzulässig zurückgewiesen, weil die sechsmonatige Anfechtungsfrist bereits abgelaufen war. In weiterer Folge hat der Interessent diese Zurückweisung durch das Bundesvergabeamt mit einer Bescheidbeschwerde beim VwGH bekämpft. Der VwGH leitete ein Vorabentscheidungsverfahren ein, um die unionsrechtliche Zulässigkeit der sechsmonatigen Präklusionsfrist durch den EuGH klären lassen.

Im Rahmen dieses Vorabentscheidungsverfahren führte der EuGH einleitend aus, dass die durch die Rechtsmittelrichtlinie vorgegebene sechsmonatige (Mindest-)Präklusionsfrist als Beschränkung für die Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Vertrages aus Gründen der Rechtsicherheit jedenfalls zulässig sei. Unabhängig davon obliege es jedoch den Mitgliedstaaten, Fristen für andere Rechtsbehelfe als diese Unwirksamkeitserklärung festzulegen. Bei der Festlegung dieser Fristen ist darauf zu achten, dass diese die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz). Da für die Geltendmachung von Schadenersatz eine vorherige Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens jedenfalls erforderlich ist, ist der EuGH davon ausgegangen, dass der Grundsatz der Effektivität verletzt sei, weil dabei unberücksichtigt bleibt, ob das geschädigte Unternehmen vom Vorliegen eines Rechtsverstoßes überhaupt Kenntnis erlangen konnte. Nach Ansicht des Gerichtshofs macht das Fehlen einer vorhergehenden Bekanntmachung über die Verfahrenseinleitung in Kombination mit der sechsmonatigen Frist es nahezu unmöglich, die notwendigen Informationen für einen effektiven und den Vorgaben des Unionsrechts entsprechenden Rechtschutz innerhalb dieser Frist zu sammeln.

Nach Ansicht der Autoren dieser Kurz-Nachricht ist diese Entscheidung des EuGH abzulehnen. Durch dieses Urteil besteht – zumindest für die Dauer einer allfälligen Sanierung durch den Gesetzgeber – überhaupt keine Rechtsicherheit für Auftragsvergaben, die bereits vor vielen Monaten oder auch Jahren aufgrund eines Ausnahmetatbestandes ohne öffentliche Bekanntmachung erfolgt sind. Aufgrund des Anwendungsvorranges der EuGH-Judikatur gegenüber unionsrechtswidrigen nationalen Gesetzesvorschriften werden die österreichischen Präklusionsfristen bis auf weiteres verdrängt. Demnach muss davon ausgegangen werden, dass Feststellungsanträge gegen eine solche „Direktvergabe“, die auch vor mehreren Jahren aufgrund eines Ausnahmetatbestandes abgewickelt wurde, von den Vergabekontrollbehörden nicht mit dem Argument der Verfristung zurückgewiesen werden.

EuGH 26.11.2015, C-166/14