Der EuGH war neuerlich nochmals mit den rechtlichen Rahmenbedingungen betreffend die Teilnahme von Unternehmen aus Drittstaaten befasst. Im Konkreten ging es um die Rechtsfrage, ob EU-Mitgliedstaaten ohne unionsrechtliche Grundlage durch eine nationale Vorschrift entsprechende Unternehmen aus Drittstaaten von Vergabeverfahren generell ausschließen dürfen. Das Ausgangsverfahren betraf die rumänische Behörde ARF, die am 3.4.2020 ein offenes Verfahren eingeleitet hat. Dieses Vergabeverfahren umfasste die Lieferung von 20 überregionalen elektrischen Triebwagenzügen sowie die Erbringung der dazugehörigen Wartungs- und Reparaturdienstleistungen. An diesem Vergabeverfahren beteiligten sich zwei Bieter. Einer dieser Bieter war ein Konsortium unter der Führung des chinesischen Unternehmens CRRC Qingdao Sifang; das zweite Mitglied dieses Konsortiums war ein rumänisches Unternehmen. Auf dieses Vergabeverfahren war die rumänische Notverordnung Nr 25/2021 anzuwenden, die eine neue Definition des Begriffs „Wirtschaftsteilnehmer“ in das rumänische Vergaberecht einführt. Nach dieser Verordnung dürfen sich an rumänischen Vergabeverfahren ausschließlich Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten oder Drittstaaten beteiligen, mit denen die Europäische Union ein internationales Abkommen abgeschlossen hat. Aufgrund dieser Vorschrift wurde das chinesische Konsortium vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, weil es kein „Wirtschaftsteilnehmer“ im Sinne dieser Verordnung war. Das Unternehmen erhob Beschwerde gegen diesen Ausschluss wegen Verletzung seiner vergaberechtlich gewährleisteten Rechte. Im Rahmen dieses Rechtsmittelverfahrens wurde die vorliegende Angelegenheit letztlich dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Zunächst stellte der EuGH fest, dass Unternehmen aus Drittstaaten, die keine internationale Übereinkunft mit der Europäischen Union abgeschlossen haben, zwar grundsätzlich an Vergabeverfahren teilnehmen dürfen, sich jedoch nicht auf die Vorschriften der EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU berufen können. Dementsprechend haben Drittstaatenunternehmen ohne ein solches Abkommen keinen Anspruch auf die Einhaltung vergaberechtlicher Grundsätze wie Gleichbehandlung und Transparenz. Solche Rechte stehen ausschließlich Wirtschaftsteilnehmern zu, die ihren Sitz in der Europäischen Union oder einem Drittstaat haben, mit dem ein entsprechendes Abkommen abgeschlossen wurde. Wenn es keinen unionsrechtlichen Ausschlussgrund oder kein einschlägiges Abkommen mit einem Drittstaat gibt, obliegt es ausschließlich öffentlichen Auftraggebern im jeweiligen Vergabeverfahren zu beurteilen, ob ein solcher Wirtschaftsteilnehmer zugelassen wird oder nicht. Demnach dürfen nationale Gesetzgeber ohne unionsrechtliche Grundlage keine generelle Vorschrift erlassen, die Unternehmen aus Drittstaaten in jedem Vergabeverfahren pauschal ausschließen. Nach den Ausführungen des EuGH dürfen also Mitgliedstaaten nicht gesetzgeberisch tätig werden, wenn es um die Frage geht, ob und wie solche Drittstaatenunternehmen sich an Vergabeverfahren in der Europäischen Union beteiligen dürfen. Gemäß Art 3 Abs 1 lit e AEUV fällt diese Materie in die ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik. Nationale Regelungen, die Drittstaatenunternehmen von Vergabeverfahren pauschal ausschließen, sind daher ohne unionsrechtliche Grundlage rechtswidrig. Folglich kam der EuGH im Ausgangsverfahren zu dem Ergebnis, dass die in der rumänischen Notverordnung enthaltene enge Definition des Begriffs „Wirtschaftsteilnehmer“ unionsrechtswidrig ist.
Anmerkung der Autorinnen:
Das vorliegende Urteil des EuGH baut unter anderem auf die Entscheidung in der Rechtsache Kolin İnşaat (Rs C-652/229) auf, die unsere Kanzlei auch schon in einem Beitrag behandelt hat. Im aktuellen Urteil stellt der Gerichtshof nunmehr klar: Drittstaatenunternehmen haben ohne entsprechendes Abkommen keinen Anspruch auf Gleichbehandlung nach dem EU-Vergaberecht. In diesem Fall liegt es ausschließlich im Ermessen des jeweiligen öffentlichen Auftraggebers, solche Drittstaatunternehmen durch entsprechende Festlegungen in den Ausschreibungsunterlagen für das betreffende Vergabeverfahren zuzulassen oder auszuschließen, sofern keine unionsrechtliche Regelung etwas anderes vorsieht. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich – wie im vorliegenden Fall – ein Konsortium am Vergabeverfahren beteiligt, in dem neben dem chinesischen Unternehmen auch ein EU-Unternehmen und zwar der rumänische Konsortialpartner vertreten ist. Bei der Zulassung zum Vergabeverfahren handelt es sich jeweils um eine Einzelfallentscheidung, die jeweils pro Vergabeverfahren von den ausschreibenden Auftraggebern zu treffen ist. Ein genereller Ausschluss solcher Unternehmen von Vergabeverfahren durch eine generelle Vorschrift eines Mitgliedstaates – insbesondere in einem Gesetz oder Verordnung – ist unionsrechtswidrig. Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass es eine solche generelle Vorschrift in Österreich nicht gibt.