In der Rechtsache Kolin (Kolin Inşaat Turizm Sanayi ve Ticaret AȘ) gegen die Kontrollkommission in Kroatien (Državna komisija za kontrolu postupaka javne nabave) hatte der EuGH die Frage der Gleichbehandlung von Wirtschafteilnehmern aus Drittstaaten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in der Europäischen Union im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zu beantworten. Im Konkreten hatte der EuGH zu klären, ob Kolin mit Unternehmenssitz in der Türkei im Rahmen des Vergaberechts bei Teilnahme an einem Vergabeverfahren in Kroatien einen Anspruch auf Gleichbehandlung gegenüber anderen Bietern aus Drittstaaten und insbesondere aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat.
Das Ausgangsverfahren betraf die Vergabe eines öffentlichen Auftrags für den Bau einer Eisenbahninfrastruktur für die Ortschaften Hrvatski Leskovac (Kroatien) und Karlovac (Kroatien). Dabei bekämpfte der Verfahrensteilnehmer Kolin die Zuschlagsentscheidung zugunsten der Strabag AG bei der zuständigen Kontrollkommission in Kroatien. In diesem ersten Nachprüfungsverfahren folgte die Kontrollkommission dem Antragsteller und hob die Zuschlagsentscheidung mit der Begründung auf, die erforderliche technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Strabag AG wäre nicht ordnungsgemäß nachgewiesen worden. Anschließend hat der Auftraggeberin die Strabag AG aufgefordert, ergänzende Eignungsnachweise nachzureichen. Aufgrund eines entsprechenden Aufklärungsschreibens hat dann der Auftraggeber die Zuschlagsentscheidung erneut zugunsten der Strabag AG mitgeteilt. Auch diese zweite Zuschlagsentscheidung hat Kolin bei der Kontrollkommission angefochten. Dabei brachte Kolin im Wesentlichen vor, das Aufklärungsersuchen des Auftraggebers würde nicht dem Vergaberecht entsprechen und wäre insofern rechtswidrig. Die zuständige Kontrollkommission wies das Rechtsmittel ab und begründete das im Wesentlichen damit, es würde einem öffentlichen Auftraggeber frei stehen, einen Bieter um Vervollständigung oder Erläuterung seines Angebots zu ersuchen.
Gegen diese Entscheidung brachte Kolin beim Visoki upravni sud (Hohes Verwaltungsgericht, Kroatien) als nächste Instanz ein weiteres Rechtsmittel ein und machte geltend, sowohl das Aufklärungsersuchen des Auftraggebers als auch die Berücksichtigung der nachgereichten Nachweise wäre rechtswidrig, weil durch die nachträgliche Referenz das Angebot wesentlich geändert wurde und dies den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt. Im Hinblick auf Art 36 und 76 der Richtlinie 2014/25 hegte das Hohe Verwaltungsgericht tatsächlich Zweifel, ob der Auftraggeber berechtigt ist, unter den gegebenen Rahmenbedingungen ein entsprechendes Aufklärungsersuchen zu übermitteln und die nachgereichten Eignungsnachweise bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Daher leitete das Hohe Verwaltungsgericht das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren ein, um die damit in Verbindung stehenden Rechtsfragen vom EuGH klären zu lassen.
In diesem Verfahren hat der EuGH zunächst geprüft, ob das Vorabentscheidungsverfahren überhaupt zulässig ist. Dabei war zu klären, ob die Europäische Union gegenüber Drittstaaten verpflichtet ist, Wirtschaftsteilnehmern aus diesen Drittstaaten entsprechenden Zugang zu öffentlichen Aufträgen in der Europäischen Union zu gewähren. Diese Pflicht besteht aber nur dann, wenn für die Auftraggeber der Mitgliedstaaten und die Verfahrensteilnehmer der Drittstaaten ein internationales und rechtverbindliches Übereinkommen zur Gleichbehandlung von Wirtschaftsteilnehmern aus der Europäischen Union und aus diesen Drittstaaten besteht. Ein solches Übereinkommen ist beispielsweise das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA). Da aber die Republik Türkei kein solches Übereinkommen unterzeichnet hat, besteht für Wirtschaftsteilnehmer der Türkei auch kein Recht auf Gleichbehandlung mit Wirtschaftsteilnehmern der Europäischen Union. Daher ist auch eine Anfechtung der Zuschlagsentscheidung im vorliegenden Fall nicht möglich. Folglich obliegt dem jeweiligen Auftraggeber die Entscheidung, ob Wirtschaftsteilnehmer aus Drittstaaten ohne entsprechendes Übereinkommen mit der Europäischen Union sich an Vergabeverfahren beteiligen dürfen. Dem Auftraggeber steht es also frei, in den Ausschreibungsunterlagen entsprechende Festlegungen aufnehmen, die es Bietern aus solchen Drittstaaten untersagen, sich am Vergabeverfahren zu beteiligen. Im Ergebnis hat daher der EuGH entschieden, dass das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig ist. Die vom Hohen Verwaltungsgericht aufgeworfenen Fragen zu den nachgereichten Eignungsnahweisen wurden inhaltlich nicht beantwortet.
Anmerkungen der AutorInnen:
Der EuGH hat mit dem vorliegenden Urteil eine für die Praxis immer wichtiger werdende Frage im Vergaberecht betreffend die Behandlung von Wirtschaftsteilnehmern aus Drittstaaten ohne internationales Übereinkommen für eine Gleichberechtigung mit Wirtschaftsteilnehmern aus einem Mitgliedstaat beantwortet. Demnach obliegt ohne internationales Übereinkommen die Zuständigkeit für die Zulassung solcher Unternehmen zu einem Vergabeverfahren dem jeweiligen öffentlichen Auftraggeber. Dabei sind insbesondere auch die Ausführungen des EuGH in Randnummer 64 dieses Urteils zu berücksichtigen. Der Gerichtshof bezieht sich dabei ausdrücklich auf die „Auftragsunterlagen“. Offensichtlich geht also der EuGH davon aus, dass öffentliche Auftraggeber eine entsprechende Festlegung in die Ausschreibungsunterlagen aufnehmen müssen, wenn die Teilnahme von Unternehmen aus Drittstaaten ohne entsprechendes Abkommen von Vergabeverfahren ausgeschlossen werden soll. Auch wenn diese Ausführungen unter Umständen nicht ganz abschließend klar sind, empfiehlt sich jedenfalls eine entsprechende Festlegung in den Ausschreibungsunterlagen im Interesse der Rechtssicherheit jedenfalls.