Das Ausgangsverfahren betraf die Vergabe von Lieferungen von Bibliotheksmaterialien, die in mehreren Losen unterteilt war. Dieser Ausschreibungsgegenstand wurden in einem offenen Verfahren ausgeschrieben. Der Zuschlag sollte nach dem Billigstbieterprinzip erfolgen. Bei den verfahrensgegenständlichen Losen handelte es sich zum einen um „Dänische Bücher und Notenblätter (Ost)“ und zum anderen um „Dänische Bücher und Notenblätter (West)“. Es war beabsichtigt, einem Lieferanten Ostdänemark und einem Westdänemark zuzuordnen, wobei aber für alle Kunden dieselben Preise gelten sollten. Dem preislich günstigsten Bieter wurde dabei das größere Los zugeteilt (West), dem zweitgünstigsten Bieter wurde angeboten, das andere Los (Ost) zu übernehmen. Allerdings musste dieser zweitgereihte Bieter akzeptieren, die Leistungen zu den exakt gleichen Preisen zu erbringen, wie der wirtschaftlich günstigste Bieter. Akzeptierte dieser Bieter nicht, erhielt der drittgünstigste Bieter diese Möglichkeit und so weiter.

Gegen diese Modalität des Verfahrens legte einer der Bieter Beschwerde ein. Dabei wurde argumentiert, die Möglichkeit der Bieter, ihr Angebot nach Ablauf der Angebotsfrist zu verbessern, würde gegen das Verhandlungsverbot, das sich aus den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Transparenz ableitet, verstoßen. Letztlich wurde diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der EuGH hat zunächst klargestellt, dass in einem offenen Verfahren die oben genannten Grundsätze grundsätzlich jeglicher Art der Verhandlung entgegenstehen und damit auch einer nachträglichen Änderung der Preise. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das vorliegende Vergabeverfahren nach dem Billigstbieterprinzip ausgeschrieben wurde; demnach wird nach den angebotenen und nicht mehr veränderbaren Preisen unmittelbar und endgültig die Reihung der Bieter festgelegt. Der erstgereihte Bieter mit dem niedrigsten Preis nimmt den ersten Platz ein und zu seinen angebotenen Preisen wird der gesamte Auftrag vergeben. Die Möglichkeit des zweitgereihten Bieters, den Zuschlag für das andere Los zu erhalten, beruht ausschließlich darauf, dass dieser Bieter den zweiten Platz in der Reihenfolge einnimmt. Akzeptiert der zweitgereihte Bieter nicht, den Preis des günstigsten Angebotes zu übernehmen, erhält der drittgereihte Bieter diese Möglichkeit, und so weiter, bis kein Bieter mehr übrig ist oder einer der Bieter akzeptiert. Nur wenn keiner der nachgereihten Bieter akzeptiert, erhält der wirtschaftlich günstigste den Zuschlag für beide Lose. Diese Entscheidung, die von den nachrangigen Bietern getroffen werden kann, stellt nach dem vorliegenden Urteil des EuGH gar keine Änderung des Angebots dar, weil kein Bieter die Möglichkeit hat, durch diese Änderung der Preise seinen Platz in der Reihenfolge oder den Preis, zu dem der Auftrag vergeben wird, zu ändern. Aus diesem Grund ist der EuGH zum Ergebnis gekommen, dass die Vergabemodalität des Ausgangsverfahrens keinen Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz darstellt und somit vergaberechtlich zulässig ist. Insofern verletzt die dargestellte Modalität nicht das Vergaberecht.

Anmerkungen der AutorInnen:

Der EuGH hat eine spannende Frage, die in der Praxis des Vergaberechts immer wieder zu Diskussionen und Rechtsunsicherheiten geführt hat, erfreulicherweise im Interesse einer entsprechenden Flexibilität für öffentliche Auftraggeber beantwortet. Wesentlich bei Anwendung der dem Ausgangsverfahren zugrundeliegenden Vergabemodalität ist, dass exakte Festlegungen in den Ausschreibungsunterlagen enthalten sein müssen, welche die Vorgehensweise bei der Auftragsvergabe regeln. Die nunmehr vom EuGH abgesegnete Modalität bietet interessante Möglichkeiten bei Gestaltung von Vergabemodellen insbesondere bei Vergabeverfahren mit mehreren Losen.

EuGH 13.6.2024, C‑737/22