Sachverhalt: Die Klägerin war nach einer öffentlichen Ausschreibung mit Bauarbeiten für eine Brücke am 30.1.2020 beauftragt worden. Nach Abschluss ihrer Arbeiten legte die Klägerin ihre Schlussrechnung vom 30.6.2020. Darin macht sie auch Forderungen für aus der COVID-19-Pandemie resultierenden zusätzlichen Aufwendungen in Höhe von EUR 30.003,69 geltend, weil am 15.3.2020 in Österreich das Gesetzespaket zur Eindämmung der Corona-Krise beschlossen wurde. Durch dieses Gesetzespaket sind für Baustellen und auch andere Wirtschaftsbereiche einschneidende Auflagen mit 16.3.2020 in Kraft getreten. Die behaupteten Mehrkosten haben im Wesentlichen folgende Umstände betroffen: Kosten für die Beschaffung von Schutzmasken und erhöhte Entgeltansprüche der Bauarbeiter laut Kollektivvertrag für das Tragen der Masken, Leistungsabfall aufgrund des Tragens der Masken, erhöhte Quartierkosten (Einzelbettzimmer statt Doppelbettzimmer) sowie Desinfektion von Einrichtungen und Arbeitsgeräte. Die zusätzlichen Aufwände und Leistungsstörungen sind vom klagenden Auftragnehmer anhand der Stellungnahme eines Sachverständigen behauptet worden; zusätzlich sind mehrere Gutachten zum Thema COVID-Kosten vorgelegt worden. Eines dieser Gutachten stammt von der Landesinnung Bau.

Rechtliche Beurteilung: Wurde der Werkunternehmer infolge von Umständen, die auf Seite des Bestellers liegen, durch Zeitverlust bei der Ausführung des Werkes verkürzt, so gebührt ihm gemäß § 1168 Abs 1 letzter Satz ABGB angemessene Entschädigung. Während das Risiko der neutralen Sphäre allgemein dem Auftragnehmer zugewiesen wird, werden für die Zuordnung der Gefahrtragung bei Störungen wegen „höherer Gewalt“ aufgrund der COVID-19-Pandemie in der Literatur verschiedene Ansätze diskutiert. Im Sinn der weit überwiegenden Literatur sind die Folgen der Pandemie bei Anwendung der ÖNORM B 2110 grundsätzlich der Sphäre des Auftraggebers zugewiesen. Die Klägerin ist daher grundsätzlich berechtigt, den Ersatz von COVID-19-bedingten Mehrkosten von der beklagten Partei zu verlangen. Nach herrschender Lehre muss der Werkunternehmer den kausalen Zusammenhang zwischen Ursache (zB Planverzug) und Wirkung (zB Bauverzug) konkret behaupten und beweisen. Einigkeit besteht dabei auch zumindest darüber, dass der Werkunternehmer den Umstand behaupten und beweisen muss, der zu Mehrkosten geführt hat, ebenso, dass die Umstände, die den Zeitverlust herbeigeführt haben, aus der Sphäre des Bestellers stammen. Dreh- und Angelpunkt der uneinheitlichen Diskussion ist dann aber die Frage, was konkreter Bezugspunkt der Nachteilsbehauptung (bzw des -nachweises) ist.

In Übereinstimmung dieser Rechtsprechung mit der überwiegenden Lehre sind somit auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts in § 1168 Abs 1 Satz 2 ABGB („Wurde er … verkürzt“) für die erfolgreiche Geltendmachung von Mehrkostenforderungen die Behauptung und der Beweis von konkret entstandenen Mehrkosten erforderlich. Aus den zitierten Entscheidungen ergibt sich eindeutig, dass es einer entsprechenden klägerischen Behauptung der Mehrkosten als Verkürzung bzw Nachteil sehr wohl bedarf und es etwa nicht lediglich darum gehen kann, die Preisvereinbarung für den Verzögerungszeitraum (zB durch Heranziehung des vereinbarten Stundensatzes) fortzuschreiben. Weder der Verweis auf eine bloße Preisfortschreibung noch ein diesbezüglicher Saldo genügen den Anforderungen an die Behauptung einer konkreten Mehrforderung. Diese bloße Einpreisung anhand eines – offensichtlich nicht auf die konkrete Baustelle bezogenen und anhand einer in einem Gutachten vorgenommenen abstrakten Kalkulation berechneten – Zuschlags ist unzureichend. Sie anzuerkennen bedeutete im Ergebnis, einen Werkunternehmer letztlich von der Behauptung der jeweils tatsächlich angefallenen Mehrkosten zu entbinden. Mag auch die von der Klägerin gewählte Vorgangsweise auf eine Empfehlung der Wirtschaftskammer Österreich und die von dieser veröffentlichten Stellungnahme des erwähnten Sachverständigen zurückzuführen sein, so ändert dies an den dargelegten, dem Gesetz und der Rechtsprechung entsprechenden Erfordernissen eines konkreten Vorbringens nichts.

Punkt 7.4.1 Abs 2 der ÖNORM B 2110 setzt die Vorlage der Mehrkostenforderung „in prüffähiger Form“ voraus. Nach dem Klagsvorbringen wurde diese Forderung jedoch – wie hier im Verfahren – nur anhand der auf dem erwähnten Gutachten basierenden Berechnungen dargestellt. Damit ist aber eine „Prüffähigkeit“ zu verneinen. Auch für diesen Fall wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass in der Unterlassung der (rechtzeitigen) Retournierung einer unüberprüfbaren Rechnung „wohl kaum“ ein Anerkenntnis des Rechnungsbetrags erblickt werden könne.

Anmerkung der AutorenInnen: Der OGH hat mit dem vorliegenden Urteil erstmals Mehrkostenforderungen von Bauunternehmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie behandelt. Zunächst hat das Höchstgericht klargestellt, dass bei Verträgen nach der ÖNORM B 2110 die Folgen der Pandemie der Sphäre des Auftraggebers zuzuweisen sind. Im Übrigen hat der OGH in einer für (öffentliche) Auftraggeber sehr erfreulichen Entscheidung mit klaren Worten darauf hingewiesen, dass ein Auftragnehmer immer einen konkreten Nachweis der tatsächlich entstandenen Mehrkosten zu erbringen hat; theoretische Ansätze, die in der bauwirtschaftlichen Praxis von Auftragnehmern sehr häufig ins Treffen geführt werden, sind nicht ausreichend, um Mehrkosten geltend zu machen. Auch wenn sich dieses Urteil auf Mehrkostenforderungen infolge der COVID-19-Pandemie bezieht, ist die vorliegende Entscheidung ganz allgemein für die Behandlung von Mehrkostenforderungen von ganz grundlegender Bedeutung. In der Praxis werden Mehrkostenforderungen sehr häufig mit allgemeinen und theoretischen Argumenten behauptet, ohne auf die konkreten Verhältnisse und Vorgänge bei der Leistungserbringung einzugehen; zum Teil wird eine solche Vorgehensweise auch durch das bauwirtschaftliche Schrifttum unterstützt. Dieser Argumentation wird mit dem vorliegenden Urteil eine klare Absage erteilt.

OGH 21.12.2022, 6Ob136/22a