Seit der Finanzkrise 2008 wurden einige für die Verfahrenswahl wesentlichen Schwellenwerte gegenüber den gesetzlichen Beträgen jeweils durch so genannte Schwellenwerteverordnungen deutlich angehoben. Diese Verordnungen waren zwar jeweils zeitlich befristet. Bisher wurden sie aber regelmäßig jeweils um ein oder zwei Jahre verlängert. Die letzte Verlängerung erfolgte mit Geltung bis 31.12.2022. Entgegen der bisherigen seit über zehn Jahren bestehenden Praxis wird es in diesem Jahr ganz offensichtlich keine Verlängerung mehr geben, obwohl teilweise nicht nur eine Verlängerung, sondern sogar eine Valorisierung gefordert wird. Durch das Auslaufen der aktuellen Schwellenwerteverordnung müssen nun deutlich geringere gesetzliche Schwellenwerte insbesondere für Direktvergaben und einige andere vereinfachte Verfahrensarten berücksichtigt werden, die große Bedeutung für die Beschaffungspraxis haben. Konkret gelten ab 1.1.2023 für die nachstehenden Vergabeverfahren folgende reduzierte Sub-Schwellenwerte:

  • Direktvergabe, klassische Auftraggeber: € 50.000,00 (statt € 100.000,00)
  • Direktvergabe, Sektorenauftraggeber: € 75.000,00 (statt € 100.000,00)
  • Nicht offenes Verfahren ohne Bekanntmachung Bau: € 300.000,00 (statt € 1,0 Mio)
  • Nicht offenes Verfahren ohne Bekanntmachung Liefer-/Dienstleistungen: € 80.000,00 (statt € 100.000,00)
  • Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung: € 80.000,00 (statt € 100.000,00)

Diese unerwartete Entwicklung ist für öffentliche Auftraggeber zumindest zu Jahresbeginn mit erheblichen Problemen verbunden, wenn notwendige Beschaffungen aufgrund reduzierter Schwellenwerte nicht planmäßig in einem raschen und einfachen Verfahren durchgeführt werden können. Um diese Probleme zu vermindern, können folgende Vorgehensweisen in Betracht gezogen werden:

  • Wenn das Vergabeverfahren vor Ablauf des 31.12.2022 eingeleitet wird, sind noch die aktuell geltenden Schwellenwerte anzuwenden, auch wenn die Auftragsvergabe erst 2023 erfolgt. Bei einer Direktvergabe kann insbesondere die Einholung von Angeboten oder von unverbindlichen Preisauskünften als Verfahrenseinleitung qualifiziert werden. Somit wäre es vertretbar, Direktvergaben bis € 100.000,00 netto durchzuführen, wenn bis längstens 31.12.2022 zumindest eine Einladung zur Abgabe von Angeboten oder unverbindlichen Preisauskünften versandt wird.
  • Ab dem 1.1.2023 kann darüber hinaus bei der Vergabe von geistigen Dienstleistungen insbesondere die Anwendung des Ausnahmetatbestands nach § 44 Abs 3 BVergG in Betracht gezogen werden. Diese Vorschrift erlaubt unter bestimmten weiteren Voraussetzungen die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Bekanntmachung mit einem Unternehmen bis zum halben EU-Schwellenwert. Das sind derzeit bei klassischen Auftraggebern € 107.500,00 netto und bei zentralen öffentlichen Auftraggebern € 70.000,00 netto (BKA, Bundesministerien, AIT, BBG, BRZ).

Dem Vernehmen nach ist zwar die Neuerlassung einer Schwellenwerteverordnung geplant. Ob, wann und mit welchem konkreten Inhalt es aber wieder eine neue Verordnung gegeben wird, ist derzeit noch völlig offen. Daher wird eine zumindest zeitlich befristete Umstellung der Beschaffungspraxis unvermeidlich sein.