Der VwGH war einmal mehr mit der vergaberechtlichen Bestandsfestigkeit von Ausschreibungsunterlagen und Fragenbeantwortungen befasst. Im Konkreten führte die Stadt Wien – Unternehmung Wiener Krankenanstaltenverbund ein offenes, in Lose gegliedertes Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich für die Vergabe eines Lieferauftrags betreffend Beatmungsgeräte mit Transportfahrgestell nach Bestbieterprinzip durch. Die Revisionswerberin wurde zunächst im Los 1 als Bestbieterin festgestellt. Gegen diese Zuschlagsentscheidung wurde allerdings von der zweitgereihten Bieterin ein Nachprüfungsantrag eingebracht. Als Folge dessen wurde die Zuschlagsentscheidung von der Auftraggeberin zurückgenommen und die Revisionswerberin in einem Aufklärungsersuchen aufgefordert, klarzustellen, wie durch das angebotene Produkt die Mindestanforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ konkret erfüllt wird. Aufgrund des Aufklärungsschreibens der Revisionswerberin hat die Auftraggeberin ein Gutachten erstellen lassen. In diesem Gutachten wurde festgestellt, das Aufklärungsersuchen der Revisionswerberin wäre in mehreren Punkten nicht zutreffend und die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ wäre durch das von ihr angebotene Produkt nicht erfüllt. Daher wurde das Angebot der Revisionswerberin ausgeschieden. Diese Ausscheidensentscheidung bekämpfte die Revisionswerberin mit einem Nachprüfungsantrag beim Verwaltungsgericht Wien, weil diese Entscheidung dem Vergaberecht widersprechen würde. In diesem Nachprüfungsverfahren stützte sich die Revisionswerberin auf die Festlegung in einer Fragenbeantwortung, wonach mit der von ihr angebotenen Funktion „IntelliSync+“ die geforderte Mindestanforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ erfüllt wird. Das Verwaltungsgericht Wien hat in seiner Entscheidung einen Widerspruch in den Festlegungen der Auftraggeberin erkannt. Zum einen werde inhaltlich festgelegt, was unter einer „proportionalen Druckunterstützung“ zu verstehen sei. Zum anderen sei festgelegt, dass durch bestimmte, beispielhaft angeführte Funktionen bzw Produkte wie unter anderem „IntelliSync+“ die Anforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ als erfüllt gelte. Zusätzlich sei jedoch festgelegt, dass die Bieter nachzuweisen hätten, auf welche Weise sie die inhaltlichen Anforderungen an die „proportionale Druckunterstützung“ erfüllten. Dies werfe die Frage auf, was gelte, wenn ein Bieter die Anforderung „proportionale Druckunterstützung“ zwar inhaltlich nicht erfülle und folglich den geforderten Nachweis, auf welche Weise er diese Anforderung inhaltlich erfülle, gar nicht erbringen könne, auf der anderen Seite aber ein System angeboten habe, bei dem die Anforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ aufgrund der bestandfesten Ausschreibungsunterlagen als erfüllt gelten solle. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien habe die Revisionswerberin weder die verlangte Aufklärung gegeben, noch erfülle das von ihr angebotene Produkt in inhaltlicher Hinsicht die Anforderung der verlangten „proportionalen Druckunterstützung“ im Sinn einer augmentierenden Atemhilfe. Das von der Revisionswerberin angebotene Produkt sei daher wegen der nicht erfüllten „proportionalen Druckunterstützung“ nicht ausschreibungskonform. Die Festlegung der Auftraggeberin, wonach beispielsweise durch die Funktion „IntelliSync+“ das Erfordernis der „proportionalen Druckunterstützung“ als erfüllt gelte, ändere nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien nichts daran, dass das angebotene Produkt über die in inhaltlicher Hinsicht verlangte augmentierende Atemhilfe verfügen müsse, anderenfalls es ausschreibungswidrig sei. Aus diesen Gründen hat das Verwaltungsgericht Wien den Nachprüfungsantrag der Revisionswerberin als unbegründet abgewiesen. Gegen dieses Erkenntnis hat die Revisionswerberin eine Revision beim VwGH eingebracht.
Der VwGH ist dem Vorbringen der Revisionswerberin gefolgt und hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien aufgehoben. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH stellt die Prüfung der Ausschreibungskonformität eines Angebotes im Vergaberecht stets eine Einzelfallentscheidung dar. Ob ein Angebot einen zum Ausscheiden führenden Mangel aufweist, ist vergaberechtlich am Maßstab der Ausschreibungsbestimmungen zu messen (VwGH 18.9.2019, Ra 2018/04/0007, mwN). Die Auftraggeberin hat in der Fragenbeantwortung vom 14.7.2017 den Begriff „proportionale Druckunterstützung“ genauer definiert und zu einer detaillierten funktionalen Beschreibung aufgefordert, mit der nachzuweisen ist, wie die Mindestanforderung mit dem angebotenen Produkt umgesetzt wird. In einer weiteren Fragenbeantwortung vom 19.7.2017 erklärte die Auftraggeberin, dass die Mindestanforderung unter anderem mit der Funktion „IntelliSync+“ erfüllt wird. Diese Fragenbeantwortung wurden bestandsfest. Aufgrund dieser Fragenbeantwortung vom 19.7.2017 darf also ein Angebot, das über diese Funktion verfügt, nicht mit der Begründung ausgeschieden werden, die Mindestanforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ wäre nicht erfüllt.
Anmerkungen der AutorInnen:
Mit diesem Erkenntnis festigt der VwGH seine ständige Rechtsprechung zur vergaberechtlichen Bestandskraft. Festlegungen der Auftraggeberin in Ausschreibungsunterlagen und Fragenbeantwortungen können nach eingetretener Bestandsfestigkeit nicht mehr geändert werden. Darüber hinaus besteht eine strenge Bindung der Auftraggeberin an diese bestandsfesten Festlegungen. Daher dürfen Bieter jedenfalls davon ausgehen, dass die Auftraggeberin diese Festlegungen im Vergabeverfahren auch tatsächlich anwendet.