Die ÖBB-Personenverkehr AG als Auftraggeberin hat das Vergabeverfahren „Rahmenvereinbarung über die Konstruktion, Herstellung und Lieferung von Doppelstockelektrotriebzügen“ durchgeführt. In den Ausschreibungsunterlagen für die Abgabe von Letzt-Angeboten war eine ausdrückliche Festlegung enthalten, dass für die elektronische Abgabe eine qualifizierte elektronische Signatur im Sinne der Verordnung (EU) Nr 910/2014 erforderlich ist. Die präsumtive Zuschlagsempfängerin hat ihr Letzt-Angebot mit der Signatur eines Schweizer Signaturdienstleisters unterfertigt. Die Auftraggeberin hat am 4.6.2021 die Entscheidung über den beabsichtigten Abschluss der Rahmenvereinbarung mitgeteilt, die in weiterer Folge von einem nicht erfolgreichen Bieter beim Bundesverwaltungsgericht angefochten wurde. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Entscheidung der Auftraggeberin mit dem vorliegenden Erkenntnis für nichtig erklärt. Das Bundesverwaltungsgericht begründete diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass Ausschreibungsunterlagen laut ständiger Rechtsprechung immer nach ihrem objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt ausgelegt werden müssen. Da in den Ausschreibungsunterlagen der Auftraggeberin klar und ausdrücklich eine qualifizierte elektronische Signatur gefordert wurde, die der Verordnung (EU) Nr 910/2014 entspricht, ist jedes Angebot ausschreibungswidrig, das nicht über eine solche Signatur verfügt. Die Signatur der präsumtiven Zuschlagsempfängerin hat nicht dieser Verordnung entsprochen und es besteht auch keine Vereinbarung mit der Schweiz, die eine solche Signatur als gleichwertig anerkennt.
Anmerkungen der AutorInnen:
Das vorliegende Erkenntnis zeigt zum einen wieder einmal die enorme Bedeutung von klaren, eindeutigen und vor allem bedachten Formulierungen in den Ausschreibungsunterlagen. Zum anderen zeigt das vorliegende Erkenntnis die weitreichende Bedeutung der Bestandskraft von nicht angefochtenen Ausschreibungsunterlagen. Nach Eintritt dieser Bestandskraft kommt eine Umdeutung der Ausschreibungsunterlagen nicht mehr in Betracht. Neben der inhaltlichen Beurteilung der elektronischen Signatur hat sich der Bundesverwaltungsgerichtshof noch mit einer weiteren sehr interessanten Verfahrensfrage auseinandergesetzt: Die Antragstellerin im vorliegenden Nachprüfungsverfahren wurde von der Auftraggeberin nach Abgabe des Letzt-Angebots bereits im Herbst 2020 ausgeschieden. Die Antragstellerin hat diese Ausscheidensentscheidung mit einem Nachprüfungsantrag beim Bundesverwaltungsgericht angefochten; das Bundesverwaltungsgericht ist diesem Nachprüfungsantrag mit Erkenntnis vom 28.12.2020 nicht gefolgt und hat damit die Ausscheidensentscheidung der Auftraggeberin bestätigt. In weiterer Folge hat jedoch die Antragstellerin diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts mit einer ordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof bekämpft. Obwohl noch keine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vorliegt, hat aber die Antragstellerin eine aufschiebende Wirkung erwirkt. Aufgrund dieser Umstände hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Nachprüfungsantrag die Antragstellerin quasi als verbliebenen Bieter qualifiziert, der auch berechtigt ist, den beabsichtigten Abschluss der Rahmenvereinbarung anzufechten.