Der EuGH hatte im vorliegenden Fall die Aufgabenübertragung zwischen mehreren finnischen Gemeinden und der Stadt Pori in Verbindung mit einer zusätzlichen Inhouse-Vergabe zu beurteilen. Dabei hatten die Gemeinden ihre Aufgaben sowohl für öffentliche Personenverkehrsdienste als auch für Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen im Rahmen einer im finnischen Recht vorgesehenen Kompetenzübertragung an die Stadt Pori übertragen. In weiterer Folge hat die Stadt Pori für die Erfüllung dieser Aufgaben eine Inhouse-Vergabe an eine ausschließlich in ihrem Eigentum stehende Aktiengesellschaft durchgeführt. Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Verwaltungsgerichts von Finnland hatte der EuGH zu klären, ob die jeweils ausschreibungsfreie Kompetenzübertragung an die Stadt Pori einerseits und die Inhouse-Vergabe durch die Stadt Pori an die Tochtergesellschaft andererseits zulässig ist.
Im Detail besteht für jeden der beiden Aufgabenbereiche eine eigene Kooperationsvereinbarung mit voneinander abweichenden Vertragspartnern. Die erste Vereinbarung regelt die öffentlichen Personenverkehrsdienste und wurde zwischen den Städten Pori, Harjavalta, Kokemäki und Ulvila sowie der Gemeinde Nakkila abgeschlossen. Die zweite Kooperationsvereinbarung regelt die Organisation und Erbringung von Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen und wurde zwischen den Städten Pori und Ulvila sowie der Gemeinde Merikarvia geschlossen. Für den Ausschuss betreffend die öffentlichen Personenverkehrsdienste stellt die Stadt Pori selbst fünf Mitglieder und die anderen Gemeinden jeweils ein Mitglied. Für die Kooperation über die Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen besteht ein gemeinsamer Ausschuss, der aus 18 Mitgliedern besteht. Dabei stellt die Stadt Ulvila drei Mitglieder, die Gemeinde Merikarvia zwei und die Stadt Pori die restlichen 13 Mitglieder. Im Rahmen dieser Organisation erstellt die Stadt Pori jedes Jahr einen Entwurf eines Dienstleistungsplans, in dem spezifische Inhalte der Dienstleistungen im Sozial- und Gesundheitsbereich festgelegt werden. Dieser wird den beteiligten Gemeinden dann zur Stellungnahme vorgelegt. Die Kooperationsvereinbarung sieht vor, dass die wirtschaftliche Führung der Sozial- und Gesundheitsleistungen auf einem gemeinsam erstellten Haushalts-, Finanz- und Dienstleistungsplan beruht. Für die Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben in Hinblick auf die Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen hat die Stadt Pori eine Inhouse-Gesellschaft mit der Beförderung von Personen mit Behinderungen zu Arbeits- und Tagesbetreuungsstätten mit Niederflurbussen beauftragt. Wesentlich dabei ist, dass diese Inhouse-Vergabe nicht nur den Bedarf der Stadt Pori deckt, sondern auch den Bedarf der aufgabenübertragenden Gemeinden. Die Gemeinden selbst sind aber keine Anteilseigentümer der beauftragten Inhouse-Gesellschaft; vielmehr steht diese im alleinigen Eigentum der Stadt Pori.
Der EuGH hat zur Kompetenzübertragung zunächst auf seine bisherige Rechtsprechung in der Rechtsache Remondis verwiesen (EuGH 21.12.2016, C-51/15). Aufgrund dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof auch im vorliegenden Urteil erkannt, dass es sich bei beiden Kooperationsvereinbarungen jeweils um eine im finnischen Gesetz geregelte Kompetenzübertragung handelt, die gemäß Art 4 Abs 2 EUV nicht als Auftragsvergabe im Sinne des Vergaberechts zu qualifizieren ist. Bei solchen Kompetenzübertragungen liegt kein synallagmatisches Austauschverhältnis vor, sodass allein aus diesem Grund keine vergaberechtliche Ausschreibungspflicht besteht. Für eine wirksame Kompetenzübertragung, die keine Ausschreibungspflichten begründet, ist es unter anderem erforderlich, dass die übertragende Stelle weder eine Hauptverantwortung für die Erfüllung der Aufgaben behält, noch darf der übertragenden Stelle die finanzielle Kontrolle oder allfällige Zustimmungserfordernisse vorbehalten bleiben. Eine Kompetenzübertragung erfordert somit, dass die nunmehr zuständige öffentliche Stelle von der übertragenen Befugnis selbstständig und eigenverantwortlich Gebrauch macht. Dabei schadet es nicht, wenn die übertragende Stelle gewisse Überwachungsrechte für die mit der übertragenen öffentlich-rechtlichen Dienstleistung verbundenen Aufgaben behält. Ausgeschlossen sind jedoch grundsätzlich jede Einmischung in konkrete Modalitäten der Durchführung der Aufgaben, die unter die übertragene Kompetenz fallen. Aufgrund dieser rechtlichen Vorgaben ist der EuGH – vorbehaltlich einer abschließenden Prüfung durch das vorlegende Gericht – zum Ergebnis gekommen, dass die Aufgabenübertragung durch die beiden Kooperationsvereinbarungen jeweils auf die Stadt Pori nicht vom Vergaberecht erfasst und daher nicht ausschreibungspflichtig ist.
In weiterer Folge hat der EuGH die Frage zu klären, ob die Beauftragung der Inhouse-Gesellschaft durch die Stadt Pori mit der Beförderung von Personen mit Behinderungen zu Arbeits- und Tagesbetreuungsstätten mit Niederflurbussen zulässig ist, obwohl dabei nicht nur der Bedarf der Stadt Pori gedeckt wird, sondern auch der Bedarf der aufgabenübertragenden Gemeinden. In diesem Zusammenhang hat der EuGH zunächst festgestellt, dass eine Inhouse-Vergabe bisher nur zugelassen wurde, wenn diese ganz oder teilweise im Eigentum des öffentlichen Auftraggebers gestanden ist, für den die Leistungen auch erbracht wurden. Folglich hat der EuGH nunmehr zu klären, wie der vorliegende Sachverhalt zu beurteilen ist. Dabei muss einerseits das Kontrollkriterium und andererseits das Wesentlichkeitskriterium beurteilt werden.
Für das Kontrollkriterium der Inhouse-Vergabe kann nach Ansicht des EuGH eine Beteiligung am Kapital nicht das einzige Mittel sein, um Kontrolle über eine Inhouse-Gesellschaft auszuüben. Im vorliegenden Fall steht nämlich die Inhouse-Gesellschaft nicht unter alleiniger Kontrolle der Stadt Pori, die durch die Aufgabenübertragung als öffentliche Auftraggeberin auch die Aufgaben der Gemeinden wahrnehmen muss. Vielmehr haben auch die übertragenden Gemeinden aufgrund der Kooperationsvereinbarungen die Möglichkeit, sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen des Auftragnehmers ausschlaggebenden Einfluss zu nehmen. Damit haben diese übertragenden Gemeinden jeweils wirksame, strukturelle und funktionale Kontrollmöglichkeiten, die sich auch auf die Inhouse-Einrichtung auswirken. Dadurch können die Gemeinden ebenfalls Einfluss in vergaberechtlich relevanter Hinsicht auf die Inhouse-Gesellschaft ausüben, sodass nach dem vorliegenden Urteil des EuGH das Kontrollkriterium erfüllt ist.
Beim Wesentlichkeitskriterium muss ein wesentlicher Teil der Tätigkeiten der Inhouse-Einrichtung der Erfüllung der Aufgaben des kontrollierenden öffentlichen Auftraggebers dienen. Die Dienstleistungen, welche die Stadt Pori für die Gemeinden auf Basis der Kompetenzübertragung erfüllt, werden insgesamt der Stadt Pori zugerechnet. Dabei muss nach dem vorliegenden Urteil auf die gesamten Tätigkeiten abgestellt werden, die unter die Aufgaben des Aufraggebers der Inhouse-Einrichtung fallen. Insofern steht es also dem Wesentlichkeitskriterium nicht entgegen, dass die von der Inhouse-Vergabe umfassten Leistungen auch den Bedarf der übertragenden Gemeinden decken. Aufgrund dieser Argumentation ist der EuGH zum Ergebnis gekommen, dass im vorliegenden Sachverhalt das Wesentlichkeitskriterium erfüllt ist.
Anmerkungen der AutorInnen:
Von besonderer praktischer Bedeutung sind die Ausführungen des EuGH zur Kompetenzübertragung, für die keine vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten gelten. Dadurch besteht ein umfassender Spielraum für öffentliche Auftraggeber zur Kooperation, die deutlich über die engen Grenzen einer interkommunalen Zusammenarbeit und einer Inhouse-Vergabe hinausgehen. Neben den dargestellten Voraussetzungen ist für eine solche Kompetenzverteilung aber eine gesetzliche Grundlage in einem entsprechenden Materiengesetz erforderlich. Solche Grundlagen sind den AutorInnen des vorliegenden Beitrags in der österreichischen Rechtsordnung nicht bekannt. Wenn daher in Österreich das Instrument der Kompetenzübertragung gemäß Art 4 Abs 2 EUV in Anspruch genommen werden soll, müssen dafür zunächst entsprechende Gesetzesgrundlagen geschaffen werden.
Im Hinblick auf die Inhouse-Vergabe bringt das vorliegende Urteil entsprechende Weiterentwicklungen sowohl beim Kontrollkriterium als auch beim Wesentlichkeitskriterium. Für das Kontrollkriterium ist es demnach nicht erforderlich, dass die Kontrolle durch eine Kapitalbeteiligung ausgeübt wird. Dieser Rechtsatz dürfte auch im Einklang mit dem österreichischen BVergG stehen. In § 10 Abs 1 Z 1 BVergG wird nämlich im letzten Unterabsatz explizit darauf hingewiesen, dass das Kontrollkriterium der litera a auch dann erfüllt sein kann, wenn der öffentliche Auftraggeber einen ausschlaggebenden Einfluss sowohl auf strategische Ziele als auch auf wesentliche Entscheidungen hat. Demnach stellt also auch das BVergG nicht ausschließlich auf eine rein kapitalbezogene Beurteilung bei Prüfung des Kontrollkriteriums ab. Darüber hinaus ergibt sich als inhaltlich bedeutende Weiterentwicklung aus diesem Urteil, dass das Wesentlichkeitskriterium auch dann erfüllt sein kann, wenn die von der Inhouse-Vergabe umfassten Leistungen nicht nur den Bedarf des beauftragenden öffentlichen Auftraggebers decken, sondern auch den Bedarf der übertragenden Gemeinden, die an der Inhouse-Vergabe nicht direkt beteiligt sind. Fraglich erscheint allerdings, ob dieser Rechtsatz generell gilt, oder nur für Sachverhalte, denen eine Kompetenzübertragungen zugrunde liegt; der EuGH hat nämlich in seiner Urteilsbegründung immer wieder und sehr deutlich auf die Kompetenzübertragung entsprechend Bezug genommen.
Bemerkenswert beim vorliegenden Urteil ist unter anderem, dass der EuGH bei Beurteilung des Kontrollkriteriums für die Inhouse-Vergabe einerseits einen umfassenden Einfluss der übertragenden Gemeinden sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen der Inhouse-Gesellschaft angenommen hat. Andererseits hat aber der Gerichtshof bei der Kompetenzübertragung darauf hingewiesen, dass die übertragenden Gemeinden weder eine Hauptverantwortung für die Erfüllung der Aufgaben behalten dürfen, noch darf den übertragenden Gemeinden die finanzielle Kontrolle oder allfällige Zustimmungserfordernisse vorbehalten bleiben. Beide Annahmen scheinen in einem gewissen Spannungsverhältnis zu stehen, auf das der EuGH aber nicht eingegangen ist.