Der EuGH hatte im vorliegenden Fall abermals die Grenzen des Ausnahmetatbestandes für öffentlich-öffentliche Verhältnisse (Interkommunale Zusammenarbeit) zu beurteilen. Wie bereits im letzten Blog-Beitrag unserer Kanzlei zum Urteil vom 4.6.2020, C-429/19, dargelegt wurde, ist eine interkommunale Zusammenarbeit nicht von den vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten erfasst. Im vorliegenden Fall war die Frage zu klären, ob überhaupt ein entgeltlicher „öffentlicher Auftrag“ gemäß Art 2 Abs 1 Nr 5 der Richtlinie 2014/24/EU vorliegt und gegebenenfalls, ob der Ausnahmetatbestand der interkommunalen Zusammenarbeit erfüllt ist.

Im vorliegenden Fall hat das Land Berlin die Software „IGNIS Plus“ von der Sopra Steria Consulting erworben. Anschließend hat das Land Berlin diese Software unentgeltlich der Stadt Köln überlassen. Zu diesem Zweck wurden zwei Verträge zwischen der Stadt Köln und dem Land Berlin abgeschlossen. Der erste Vertrag betrifft eine „Überlassungsvereinbarung“, welche die unentgeltliche Überlassung der Software zur Leitung von Feuerwehreinsätzen an die Stadt Köln regelt. Der zweite Vertrag hat eine „Kooperationsvereinbarung“ umfasst, welche die Zusammenarbeit bei künftigen Weiterentwicklungen der überlassenen Software regelt. Aufgrund dieser Zusammenarbeit werden dem jeweils anderen Vertragspartner die Ergebnisse von Weiterentwicklungen an der Software unentgeltlich überlassen.

Im darauf folgenden Rechtstreit zwischen der Stadt Köln und der Informatikgesellschaft für Software-Entwicklung (ISE) vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf hat die ISE die Ansicht vertreten, dass die unentgeltliche Überlassung der Software einen ausreichenden Geldwert darstelle, weshalb es sich um einen entgeltlichen Vertrag handle. Ein derartiger schriftlich geschlossener entgeltlicher Vertrag hätte als öffentlicher Auftrag ausgeschrieben werden müssen. Außerdem wären künftig notwendige Weiterentwicklungen der Software mit kostenpflichtigen Folgeaufträgen verbunden. Demgegenüber hat die Stadt Köln neben der fehlenden Entgeltlichkeit insbesondere damit argumentiert, der vorliegende Auftrag sei nicht von den Ausschreibungspflichten des Vergaberechts erfasst, weil es sich um eine interkommunale Zusammenarbeit handle.

Mit dem vorliegenden Urteil vom 28.5.2020, Rs C-796/18, hat der EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen des OLG Düsseldorf erkannt, dass die beiden Verträge dann als öffentlicher Auftrag gemäß Art 2 Abs 1 Nr 5 der Richtlinie 2014/24/EU zu qualifizieren sind, wenn sich aus dem Wortlaut der Vereinbarung oder einer nationalen Regelungen ergibt, dass es zu Anpassungen der Software kommen wird. Die Anpassung und Weiterentwicklung der Software stellt als Dienstleistung einen öffentlichen Auftrag im Sinne des Art 2 Abs 1 Nr 5 der Richtlinie dar.

Darüber hinaus ist der Ausnahmetatbestand der interkommunalen Zusammenarbeit nach Art 12 Abs 4 lit a der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass die beteiligten öffentlichen Auftraggeber gleichermaßen ermächtigt sind, sowohl gemeinsam als auch jeweils allein eine öffentliche Aufgabe wahrzunehmen. Dabei muss die Zusammenarbeit geeignet sein, gemeinsame Ziele zu erreichen, und jedenfalls der wirksamen Erbringung einer öffentlichen Dienstleistung dienen. Dabei darf die Auslegung des Ausnahmetatbestandes nach Art 12 Abs 4 lit a der Richtlinie 2014/24 aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht dazu führen, dass ein privates Unternehmen bessergestellt wird als seine Wettbewerber. Ob eine Besserstellung eines privaten Unternehmens vorliegt, hat das vorlegende OLG Düsseldorf selbst zu prüfen. Dabei muss nach den Vorgaben des EuGH unter anderem überprüft werden, ob beide Vertragspartner über den Quellcode der Software verfügen und diesen zur Sicherstellung von Pflege, Anpassung oder Weiterentwicklung, die öffentlich ausgeschrieben werden, potentiellen Bewerbern und Bietern zur Verfügung gestellt werden. Außerdem muss geklärt werden, ob der Zugang zum Quellcode allein genügt, um sicherzustellen, dass Bewerber und Bieter transparent, gleich und nicht diskriminierend an diesen öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen können. Allenfalls sind öffentliche Auftraggeber verpflichtet, weitergehende Informationen über die Software „IGNIS Plus“ in der Ausschreibung für die Pflege, Anpassung oder Weiterentwicklung allenfalls Bewerbern und Bietern zur Verfügung zu stellen, um einen allfälligen Wettbewerbsvorteil des ursprünglichen Softwarelieferanten (Sopra Steria Consulting) gegenüber anderen Teilnehmern der Ausschreibung auszuschließen. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann davon ausgegangen werden, dass eine Besserstellung eines bestimmten Wettbewerbers nicht vorliegt.

Anmerkungen der AutorInnen: Der EuGH hat zunächst die Frage behandelt, ob überhaupt ein entgeltlicher Auftrag vorliegt. Dabei hat der Gerichtshof auf sein weites Verständnis der Entgeltlichkeit hingewiesen. Im vorliegenden Fall spricht der Umstand, dass das Land Berlin und die Stadt Köln wechselseitig, Weiterentwicklungen an der Software vom jeweils anderen Vertragspartner erhalten, für eine Entgeltlichkeit der Zusammenarbeit. Daher schließt also die Nennung einer Unentgeltlichkeit in den beiden Vereinbarungen nicht aus, dass die Zusammenarbeit dennoch als entgeltlich zu beurteilen und daher von einem ausschreibungspflichten Auftrag auszugehen ist.

Darüber hinaus hat sich der EuGH vor allem mit dem Tatbestandsmerkmal, dass mit einer Interkommunalen Zusammenarbeit keine Besserstellung von Privaten verbunden sein darf, auseinandergesetzt. Der Gerichtshof hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieses Tatbestandsmerkmal nicht in der Richtlinienbestimmung genannt ist; aus diesem Grund ist im Übrigen auch in Österreich das Verbot einer Besserstellung von Privaten nicht erwähnt (vgl § 10 Abs 3 BVergG 2018). Unabhängig davon hat der EuGH im vorliegenden Urteil klargestellt, dass dieses Tatbestandsmerkmal, das der Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung immer wieder betont hat, bei Anwendung der Interkommunalen Zusammenarbeit dennoch berücksichtigt werden muss und daher auch entsprechend zu prüfen ist. Der EuGH hat zwar in seiner bisherigen Rechtsprechung das Verbot einer Besserstellung von Privaten immer wieder erwähnt. Im vorliegenden Urteil hat sich aber der Gerichtshof inhaltlich erstmals damit auseinandergesetzt. Diese Ausführungen zeigen, dass der Gerichtshof dieses Tatbestandsmerkmal sehr weit auslegt. Dadurch wird die Anwendung der Interkommunalen Zusammenarbeit auch mit dem vorliegenden Urteil nicht erleichtert und öffentliche Auftraggeber sind noch mehr gefordert, die allfällige Anwendung des Ausnahmetatbestandes noch exakter zu prüfen und diese Prüfung auch entsprechend zu dokumentieren.

EuGH 28.5.2020, Rs C-796/18