Der EuGH hatte die Grenzen des Ausnahmetatbestandes für öffentlich-öffentliche Verhältnisse (Interkommunale Zusammenarbeit) zu beurteilen. Solche öffentlich-öffentliche Verhältnisse sind nicht von den vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten erfasst. Im Konkreten wurde der Abfallzweckverband Rhein-Mosel-Eifel von den Landkreisen Mayen-Koblenz und Cochem-Zell sowie der Stadt Koblenz mit der Abfallentsorgung auf ihrem Gebiet beauftragt. Der Abfallzweckverband konnte aber nur reine Restabfälle entsorgen. Daher wurde zwischen dem Abfallzweckverband und dem Landkreis Neuwied vereinbart, dass gegen Entgelt in der vom Landkreis Neuwied betriebenen mechanisch-biologischen Abfallbehandlungsanlage die Abfälle einer Vorbehandlung unterzogen werden, um die Restabfälle abzusondern. Diese Restabfälle werden wiederrum vom Abfallzweckverband zurückgenommen und entsorgt. Die beteiligten öffentlichen Auftraggebersind davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine Kooperation im Rahmen einer interkommunalen Zusammenarbeit handelt, für die es keine vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten gibt. Die Remondis GmbH hat hingegen die Ansicht vertreten, dass es sich bei gegenständlicher Vereinbarung um einen ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrag handelt, weil die Tatbestandsmerkmale einer interkommunalen Zusammenarbeit gemäß Richtlinie 2014/24 nicht erfüllt werden. Daher hat die Remondis GmbHeinen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Rheinland-Pfalzein eingebracht. Gegen den Beschluss der Vergabekammer Rheinland-Pfalz legte die Remondis GmbH Beschwerde beim Oberlandesgericht Koblenz ein. Zur Klärung der in diesem Verfahren aufgeworfenen Fragenleitete das Oberlandesgericht Koblenz ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH an. Im Konkreten sollte dabei geklärt werden, wie der Begriff der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern gemäß Art 12 Abs 4 litera a der Richtlinie 2014/24 auszulegen ist.
Mit Urteil vom 4.6.2020, C-429/19, hat nunmehr der EuGH festgestellt, dass es für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes nach Art 12 Abs 4 litera a der Richtlinie 2014/24 unter anderem darauf ankommt, ob eine „echte Zusammenarbeit“ zwischen öffentlichen Auftraggebern besteht; die alleinige Kostenerstattung durch einen der öffentlichen Auftraggeber begründet noch keine Zusammenarbeit im Sinn der Richtlinie. In diesem Urteil weist der EuGH zunächst darauf hin, dass der Begriff der Zusammenarbeit in der Richtlinie selbst nicht definiert ist und daher eine einheitliche und autonomeeuropäische Auslegung erforderlich ist. Zur Auslegung des Begriffs der Zusammenarbeit verweist der EuGH auf Absatz 3 des 33. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2014/24. Nach diesem Erwägungsgrund soll eine Zusammenarbeit auf einem kooperativen Konzept beruhen. Dies ist dahin gehend zu verstehen, dass es auf das Erfordernis der Effektivität der Zusammenarbeit ankommt.Der EuGH versteht diese Art der Zusammenarbeit als „echte Zusammenarbeit“.Dabei begründet nach dieser Rechtsprechung weder der Umstand, dass beide Parteien öffentliche Auftraggeber sind, noch die alleinige Kostenerstattung durch eine der beiden Partner eine Zusammenarbeit im Sinne des Art 12 Abs 4 litera a der Richtlinie. Eine Unterscheidung zwischen diesem Ausnahmetatbestand und einem ausschreibungspflichten öffentlichen Auftrag wäre nicht mehr möglich, würde die Kostenerstattung alleine bereits eine Zusammenarbeit im Sinne der Richtlinie begründen. Eine Zusammenarbeit zwischen mehreren öffentlichen Auftraggebern soll auf einer gemeinsamen Strategie basieren, mit welcher die Fähigkeiten der öffentlichen Auftraggeber in Bezug auf die zu erbringende Dienstleistungmiteinander verknüpft werden. Die verfahrensgegenständliche Vereinbarung scheint jedoch nur den Erwerb einer Leistung gegen Entgelt zu regeln. Dies reicht für die Begründung einer „echten Zusammenarbeit“ im Sinn der Richtlinie nicht aus. Unter diesen Umständen geht der EuGH davon aus, dass die verfahrensgegenständliche Vereinbarung nicht den Ausnahmetatbestand des Art 12 Abs 4 litera a der Richtlinieerfüllen würde, sondern würde einen ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrag darstellen. Eine endgültige Beurteilung des abschließend konkreten Sachverhalts obliegt unter Berücksichtigung der dargestellten Rechtsansicht des EuGH dem vorlegenden Gericht.
Anmerkungen der AutorInnen: Das vorliegende Urteil des EuGH hat große praktische Bedeutung für die Zusammenarbeit öffentlicher Auftraggeber im Sinne der so genannten Interkommunalen Zusammenarbeit. In Österreich sind diese von den vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten befreiten öffentlich-öffentlichen Verhältnisse in § 10 Abs 3 BVergG geregelt. Der Anwendungsbereich dieser öffentlich-öffentlichen Verhältnisse wurde bereits durch die Neuerlassung des BVergG 2018 deutlich eingeschränkt, weil eine solche Zusammenarbeit ausschließlich für Dienstleistungsaufträge zulässig ist. Eine ausschreibungsfreie Zusammenarbeit öffentlicher Auftraggeber im Rahmen von Bau- oder Lieferaufträgen kommt von vornherein nicht in Betracht. Durch das vorliegende Urteil wird der Anwendungsbereich dieser öffentlich-öffentlichen Verhältnisse noch weiter eingeschränkt, weil eine „echte Zusammenarbeit“ erforderlich ist. Tritt daher ein öffentlicher Auftraggeber als federführender Partner auf und ein anderer öffentlicher Auftraggeber erbringt kaum kooperative Leistungen oder nur untergeordnete Nebentätigkeiten, könnte es fraglich sein, ob der Ausnahmetatbestand erfüllt ist. Gerade aufgrund dieser Verschärfung sollte möglichst exakt dokumentiert werden, welche Leistungen die Partner im Konkreten erbringen. Dabei sollte auf eine möglichste Ausgewogenheit geachtet werden.