Die Europäische Kommission hat am 1.4.2020 im Amtsblatt der Europäischen Union Leitlinien zur Nutzung des vergaberechtlichen Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation veröffentlicht.
Die Leitlinien erläutern die Nutzung von Optionen und Flexibilitätsmöglichkeiten innerhalb des Rahmens der EU-Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge. Diese Leitlinien korrespondieren daher insofern mit dem Rundschreiben des österreichischen Bundesministeriums für Justiz vom 30.3.2020. Dabei wird insbesondere auf das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung für Lieferungen und Dienstleistungen verwiesen; Bauaufträge sind dabei in den Leitlinien nicht genannt. In Österreich ist diese Verfahrensart in den §§ 36 Abs 1 Z 4 und 37 Abs 1 Z 4 BVergG geregelt. In den Leitlinien werden die Voraussetzungen allgemein erläutert, die erfüllt sein müssen, um ein solches Verhandlungsverfahren durchzuführen. Dies ist dann der Fall, wenn dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die die öffentlichen Auftraggeber nicht voraussehen konnten, es nicht zulassen, die Fristen einzuhalten, die unter anderem für die offenen, die nicht offenen Verfahren vorgesehen sind. Aufgrund der vorliegenden Mitteilung der EU-Kommission erfüllen jene Beschaffungsvorhaben, die der Eindämmung der COVID-19-Pandiemie dienen, jedenfalls diese Voraussetzungen, um Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachungen durchzuführen, sodass in der Praxis keine Einzelfallprüfung erforderlich ist.
Darüber hinaus wird in den Leitlinien ausgeführt, dass öffentliche Auftraggeber direkt mit den potentiellen Auftragnehmern ohne Beachtung von Fristen, der Mindestanzahl von zu beteiligenden Bietern und sonstigen verfahrenstechnischen Anforderungen verhandeln können, um Lieferungen und Dienstleistungen so zeitnah wie möglich zu beschaffen. Ferner wird in den Leitlinien klargestellt, dass öffentliche Auftraggeber zur Beschleunigung der Auftragsvergabe mit potentiellen Auftragnehmern innerhalb und außerhalb der EU auch per Telefon, E-Mail oder persönlich Kontakt aufnehmen können.
Anmerkung der Autoren: Mit den vorliegenden Leitlinien wird völlig sachgerecht klargestellt, dass die Beschaffung von Lieferungen und Dienstleistungen, die der Eindämmung der COVID-19-Pandiemie dienen, nahezu ohne Berücksichtigung des Vergaberechts erfolgen kann. Insbesondere durch den Hinweis, dass dabei die vergaberechtlich an sich geforderte „Mindestanzahl“ von einzuladenden Bietern nicht berücksichtigt werden muss, entspricht das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung in diesem Zusammenhang einer Direktvergabe, die ohne Bindung an die herkömmlichen Sub-Schwellenwerte zulässig ist. Damit erfolgt durch die EU-Kommission eine vergaberechtliche Klarstellung, die von der Realität ohnehin schon vorweg genommen wurde. Insbesondere in der kritischen Gesundheitsversorgung werden derzeit die dringend benötigten Lieferungen und Dienstleistungen mit der einzig relevanten Maßgabe der Verfügbarkeit beschafft.