Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union mussten bis 18.4.2016 folgende EU-Vergaberichtlinien in nationales Recht umsetzen: RL 2014/23/EU (Konzessionsrichtlinie), RL 2014/24/EU (Vergaberichtlinie), RL 2014/25/EU (Sektorenrichtlinie). In Österreich hat sich diese Umsetzung verzögert; die neuen vergaberechtlichen Vorschriften sind im Kernbereich erst am 21.8.2018 in Kraft getreten.

Nach Art 5 Abs 8 RL 2014/24/EUgilt bei Aufträgen zur Realisierung von Bauvorhaben und bei Dienstleistungsaufträgen, die in mehreren Losen vergeben werden, der Gesamtwert aller Lose als Auftragswert. Die Richtlinie sieht keine Sonderregelungen für bestimmte Arten von Dienstleistungen vor. Deutschland hat bei der Umsetzung der oben genannten Richtlinien in § 3 Abs 7 S 2 VgV eine Sonderregelung für Planungsleistungen hinzugefügt. Nach dieser Regelung bilden Planungsleistungen eine Ausnahme und deren Wert ist nur dann zusammenzurechnen, wenn es sich um „gleichartige Leistungen“ handelt.

Diese deutsche Vorschrift wird von der EU-Kommission als Verstoß gegen Art 5 Abs 8 RL 2014/24/EU bewertet. Daher wurde gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil die EU-Kommission der Ansicht ist, dass alle Lose von Planungsleistungen eines Projektes generell bei Ermittlung des geschätzten Auftragswertes zusammenzurechnen sind. Das Aufforderungsschreiben der EU-Kommission ist neben Deutschland an folgende weitere Mitgliedstaaten gerichtet, die ähnliche Vorschriften in ihren nationalen Gesetzen erlassen haben: Bulgarien, Kroatien, Zypern, Tschechien, Dänemark, Finnland, Ungarn, Italien, Malta, die Niederlande, Polen, Rumänien, Schweden und das Vereinigte Königreich. Diese Mitgliedstaaten müssen innerhalb von zwei Monaten auf die Beanstandungen der EU-Kommission reagieren. Die Kommission kann andernfalls beschließen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln. Auch bei den übrigen Mitgliedstaaten, die diese Richtlinien mit Verzögerung umgesetzt haben (wie Österreich), wird von der Kommission überprüft, ob die Umsetzungsvorschriften mit der Richtlinie im Einklang stehen.

Österreich ist von diesem Aufforderungsschreiben nicht direkt betroffen. Im BVergG ist auch keine gesonderte Regelung für Planungsleistungen enthalten. Allerdings hat der Verfassungsausschuss zu § 16 Abs 4 BVergG eine ähnliche Feststellung beschlossen, die von der EU-Kommission nunmehr in Zweifel gezogen wird. Nach der Klarstellung des Verfassungsausschusses müssen Dienstleistungsaufträge, die inhaltlich unterschiedlichen Fachgebieten zugeordnet werden, zur Berechnung des geschätzten Auftragswertes nicht zusammengerechnet werden. Diese Klarstellung ist unseres Erachtens auch mit unionsrechtlichen Argumenten gut vertretbar, sodass der EuGH die Bedenken der EU-Kommission nicht teilen sollte.

Im Ergebnis ist jedoch der weitere Verlauf des Vertragsverletzungsverfahrens mit großer Spannung zu verfolgen.Wenn letztlich der EuGH die Sichtweise der EU-Kommission doch bestätigen sollte, hätte das fundamentale Auswirkungen auf die Beschaffungspraxis bei der Vergabe von Dienstleistungen und insbesondere von Planungsleistungen.Gegebenenfalls wären sämtliche Fachplanungen, die beispielsweise für die Realisierung eines Bauvorhabens benötigt werden, bei Ermittlung des geschätzten Auftragswertes zusammenzurechnen. Eine Direktvergabe solcher Planungsplanungsleistungen wäre dann in der Praxis wohl nahezu in jedem Anlassfall ausgeschlossen, weil es de facto kaum öffentliche Bauvorhaben gibt, deren Fachplanungen in Summe den Sub-Schwellenwert von EUR 100.000,00 netto für die Direktvergabe nicht erreichen. Um nicht alle Fachplanungen mit gesonderten Vergabeverfahren öffentlich auszuschreiben, wären öffentliche Auftraggeber wohl gezwungen, künftig nur mehr Generalplanungen zu vergeben, um nur ein Vergabeverfahren und nicht eine große Anzahl von Vergabeverfahren durchführen zu müssen.

Pressemitteilung der EU-Kommission