Die vergaberechtliche Selbstreinigung ermöglicht es Bietern, die aufgrund fehlender beruflicher Zuverlässigkeit eigentlich auszuscheiden wären, sich vergaberechtlich nach den Vorgaben des § 83 BVergG 2018 zu rehabilitieren. Es soll den betroffenen Bietern auch weiterhin die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen offenstehen. Diese Selbstreinigungsmöglichkeit ist unter anderem deshalb von erheblicher Bedeutung für die betroffenen Bieter, weil bei Vorliegen bestimmter Ausschlussgründe ein Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen für eine Dauer von bis zu fünf Jahren droht (siehe § 83 Abs 5 BVergG 2018). Voraussetzung für das Wiedererlangen der beruflichen Zuverlässigkeit durch Selbstreinigung ist der Nachweis konkreter technischer, organisatorischer und personeller Maßnahmen. Diese Maßnahmen müssen im Verhältnis zu Anzahl und Schwere der begangenen Verfehlungen angemessen sein und sind durch deren wirtschaftliche Vertretbarkeit begrenzt (vgl VwGH 2012/04/0010). Die Entscheidung darüber, ob die vom Bieter ergriffenen Maßnahmen als ausreichend zu betrachten sind, hat letztlich der Auftraggeber zu treffen (vgl § 83 Abs 3 BVergG 2018 sowie EuGH Rs C-465/11, Rn 35). Durch die Neuerlassung des BVergG 2018 wurden zusätzliche Voraussetzungen für die vergaberechtliche Selbstreinigung geschaffen; so ist nun zum einen der Nachweis des Schadenersatzes und zum anderen die umfassende Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden gefordert. Der EuGH hatte sich mit einer der daraus resultierenden Fragen zu beschäftigen; konkret ging es darum, wie weit die Nachweispflicht im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden gegenüber dem Auftraggeber reicht.

In dem vom EuGH zu beurteilenden Sachverhalt wurde ein Bieter in einem Vergabeverfahren zur Beschaffung von Gleisoberbaumaterialien aufgrund der Beteiligung an wettbewerbswidrigen Absprachen im Bereich des Schienenverkehrs ausgeschlossen. Dieser Bieter beantragte die Nachprüfung des Ausschlusses durch das zuständige nationale Gericht. Der antragstellende Bieter führte ins Treffen, dass ausreichende Maßnahmen zur Selbstreinigung gesetzt und dadurch die berufliche Zuverlässigkeit wiederhergestellt wurde. Der Auftraggeber wandte dagegen ein, dass die Selbstreinigung nicht im gesetzlichen Ausmaß erfolgt ist, weil keine konkreten Nachweise erbracht wurden; insbesondere weigerte sich der Bieter, den ergangenen Bußgeldbescheid an den Auftraggeber zu übermitteln.

Der EuGH betonte eingangs nochmals die Prüf- und Nachforschungspflicht des öffentlichen Auftraggebers für allfällige Ausschlussgründe. Dabei hat sich der Auftraggeber jedenfalls dann, wenn ein entsprechendes nationales oder unionsrechtliches Verfahren zur Verfolgung bestimmter Verstöße durchgeführt wurde, auf die jeweiligen Ermittlungsergebnisse bei Prüfung der Selbstreinigung zu stützten. Der Bieter hat dabei jedenfalls jene Nachweise an den Auftraggeber zu übermitteln, die zur Überprüfung der ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen und somit zum Bestehen der beruflichen Zuverlässigkeit notwendig sind. Die Übermittlung eines allfällig vorliegenden behördlichen Bußgeldbescheides ist in diesem Zusammenhang jedenfalls dann zum Nachweis für die erforderliche Zusammenarbeit mit der Ermittlungsbehörde ausreichend, wenn sich daraus die Anwendung einer Bonusregelung für den betroffenen Bieter ergibt. (Anmerkung: Die Anwendung einer Kronzeugenregelung setzt umfangreiche Zusammenarbeit mit der ermittelnden Behörde voraus.) Im Übrigen darf der Auftraggeber aber zusätzlich alle Nachweise fordern, die dieser zur Beurteilung der erfolgten Selbstreinigung als notwendig erachtet. Die Tatsache, dass dieselben Beweise bereits im behördlichen Ermittlungsverfahren vorgelegt wurden, befreit den Bieter nicht von der vergaberechtlichen Nachweispflicht gegenüber dem Auftraggeber. Anderes gilt nur dann, wenn sich der erforderliche Nachweis insbesondere aus der vorgelegten Entscheidung selbst hinreichend konkret ergeben würde.

EuGH 24.10.2018, Rs C-124/17