In der Praxis verringern Rahmenvereinbarungen den Verfahrensaufwand insbesondere bei sich wiederholenden Beschaffungsvorgängen und bieten daher dem öffentlichen Auftraggeber entsprechende Flexibilität. Dabei können Leistungen über einen längeren Zeitraum aufgrund fixierter Vertragsbedingungen abgerufen werden, ohne dass jeweils ein gesondertes Vergabeverfahren erforderlich ist. Hinzu kommt, dass bei Rahmenvereinbarungen keine Abnahmeverpflichtung des öffentlichen Auftraggebers besteht. Insofern bieten Rahmenvereinbarungen dem öffentlichen Auftraggeber zwar erhebliche Flexibilität. Dabei sind aber auch Beschränkungen zu beachten. Der EuGH hatte sich in einem rezenten Urteil erneut mit der Frage der Flexibilität von Rahmenvereinbarungen im Vergaberecht auseinanderzusetzen.
Diesem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die regionale Gesundheitseinrichtung Gardasee (GeG) führte 2011 ein dem Vergaberecht unterliegendes Vergabeverfahren zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit einem Bieter (Markas) zur Erbringung von Reinigungs- und Abfallentsorgungsdienstleistungen durch. Neben der GeG als Auftraggeberin waren in den Ausschreibungsunterlagen 18 weitere Kranken- und Gesundheitseinrichtungen genannt, denen die Möglichkeit zum Abruf aus der Rahmenvereinbarung zukommen sollte. Während der Vertragslaufzeit von neun Jahren beauftragte eine der 18 Einrichtungen (Valcamonica) die Markas durch einen Folge-Abruf aus der Rahmenvereinbarung. Gegen diese Beauftragung brachten sowohl die zuständige Wettbewerbsbehörde als auch die bisher mit der Erbringung der Leistungen für die Valcamonica beauftragte Coopservice einen Nachprüfungsantrag ein. Dieser wurde in erster Instanz unter anderem deshalb abgewiesen, weil das italienische Verwaltungsgericht – im Gegensatz zu den Antragsstellern – der Ansicht war, dass der Gesamtauftragswert in den Ausschreibungsunterlagen nicht angegeben werden musste. Der in zweiter Instanz zuständige Staatsrat wandte sich daraufhin im Zuge eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH zur Klärung der in diesem Verfahren aufgeworfenen Fragen. Im Konkreten war zum einen zu klären, ob nach europäischem Vergaberecht ein Folge-Abruf durch einen Auftraggeber zulässig ist, der nicht selbst die Ausschreibung durchgeführt hat. Zum anderen war zu klären, ob nach europäischem Vergaberecht ein konkreter Auftragswert bereits in den ursprünglichen Ausschreibungsunterlagen angegeben werden musste.
Der EuGH stellte zunächst klar, dass eine Überschreitung der gesetzlichen Höchstlaufzeit keine Vergaberechtswidrigkeit per se verursacht; aus sachlichen Gründen kann eine solche Überschreitung auch zulässig sein (vgl hierzu auch § 154 Abs 5 Satz 2 BVergG 2018: „Sofern dies ausnahmsweise, insbesondere aufgrund des Gegenstandes […] sachlich gerechtfertigt werden kann“). Darüber hinaus ist ein Folge-Abruf aus der Rahmenvereinbarung nicht nur durch den konkret ausschreibenden Auftraggeber zulässig. Vielmehr steht diese Möglichkeit auch allen anderen öffentlichen Auftraggebern offen, die als potentielle Nutznießer der Rahmenvereinbarung eindeutig und ausdrücklich in den Ausschreibungsunterlagen genannt wurden. Wesentlich dabei ist, dass sowohl für die Auftraggeber selbst als auch für die Bieter ein solcher Folge-Abruf aus der Rahmenvereinbarung durch die jeweiligen Auftraggeber erkennbar sein muss (vgl § 154 Abs 1 Satz 2 BVergG 2018). Im Übrigen lasse sich aus der Systematik der alten Richtlinie 2004/18/EG eine Verpflichtung des Auftraggebers zur Angabe der Gesamtmenge ableiten, innerhalb derer Folge-Abrufe zulässig sind; mit dem Erreichen dieser Gesamtmenge verliert die Rahmenvereinbarung ihre Gültigkeit, sodass dann keine Folge-Abrufe mehr zulässig sind. Die Pflicht zur Mengenangabe besteht auch deshalb, weil die Vergaberechtsgrundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz voraussetzen, dass alle Auftragsbedingungen klar, genau und eindeutig formuliert sind. Eine Bezugnahme auf den „normalen Bedarf“ ist im Gegensatz dazu nicht geeignet, die Anforderungen an die notwendige Klarheit und Eindeutigkeit zu erfüllen. Insbesondere bei Bietern, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine derartige Angabe ausreichend ist, um eine darauf basierende Angebotskalkulation zu ermöglichen. Darüber hinaus ist auch aus Gründen der Missbrauchsvorbeugung die Angabe der Gesamtmenge erforderlich.
Letztlich ist festzuhalten, dass das vorliegende Urteil des EuGH sich zwar auf die alte Richtlinie 2004/18/EG bezogen hat. Die vom EuGH ins Treffen geführten Richtlinienvorschriften sind aber im Wesentlichen nahezu unverändert auch in der neuen Richtlinie 2014/24/EU enthalten. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Vorgaben des vorliegenden Urteils auch für die aktuelle Rechtslage relevant und insofern zu berücksichtigen sind. Im Ergebnis sind mit dem vorliegenden Urteil einmal mehr wesentliche Klarstellungen und im Ergebnis auch Einschränkungen im Vergaberecht verbunden.