Am 11.7.2019 hat der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens die gesellschaftsrechtliche Verschmelzung mehrerer an einem Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen behandelt. Im Ergebnis wurde diese Verschmelzung nach den Vorgaben des Vergaberechts genehmigt. Dieses Urteil hat für die Praxis des Vergaberechts eine hohe Bedeutung, weil es bei zweistufigen Vergabeverfahren immer wieder vorkommt, dass die zur zweiten Stufe des Vergabeverfahrens zugelassenen Bietergemeinschaften sich während der zweiten Stufe ändern.

Das konkrete Beschaffungsvorhaben wurde in einem nicht offenen Verfahren des italienischen Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung zur Vergabe öffentlicher Aufträge für den Bau, die Unterhaltung und den Betrieb eines passiven öffentlichen Ultrabreitbandnetzes ausgeschrieben. Dieses Verfahren betraf die Vergabe von fünf Losen und umfasste – nach den Ausführungen des EuGH – drei Phasen: Abgabe der Teilnahmeanträge bis 18.7.2016, Versand der Einladungsschreiben an die in der Vorauswahl berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmer bis 9.8.2016 und Angebotsabgabe bis 17.10.2016. In der ersten Phase waren drei erfolgreiche Teilnahmeanträge eingelangt und zwar von der Telecom Italia, der OpEn Fiber und der Metroweb Sviluppo. Entsprechende Angebote haben jedoch nur die Telecom Italia und die OpEn Fiber abgegeben. Am 24.1.2017 wurden die Zuschlagsentscheidungen für die fünf Lose jeweils zugunsten der OpEn Fiber mitgeteilt. Da die Telecom Italia inhaltliche Bedenken gegen dieses Verfahrensergebnis hatte, wurde Akteneinsicht beantragt. Dadurch hat die Telecom Italia davon Kenntnis erlangt, dass die Holdinggesellschaften der Metroweb Sviluppo und der OpEn Fiber am 10.10.2016 eine Vereinbarung über die Verschmelzung der beiden Gesellschaften abgeschlossen haben. Diese Vereinbarung sah vor, dass die OpEn Fiber sämtliche Aktien der Metroweb Sviluppo erwarb.Aufgrund dieses gesellschaftsrechtlichen Vorgangs hat die Telecom Italia alle fünf Zuschlagsentscheidungen beim zuständigen Verwaltungsgericht angefochten. Da diese Klagen abgewiesen wurden, legte die Telecom Italia gegen diese Entscheidung beim Consiglio di Stato Rechtsmittel ein. Nach Ansicht des Rechtsmittelgerichts sei es nicht nachweisbar, dass die Parteien durch diese Verschmelzungsvereinbarung eine wettbewerbswidrige Absprache hätten treffen wollen. Darüber hinaus wies das Gericht darauf hin, dass die Verschmelzung zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe bloß eingeleitet gewesen und erst später vollzogen worden sei. Die Struktur von OpEn Fiber sei dementsprechend unverändert geblieben. Unter diesen Umständen hielte das italienische Verwaltungsgericht eine Auslegung des Art 28 Abs 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU durch den EuGH für erforderlich und stellte daher ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH.

Der EuGH hat in diesem Vorabentscheidungsverfahren zunächst darauf hingewiesen, dass nach Art 28 Abs 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU im nicht offenen Verfahren ausschließlich jene Wirtschaftsteilnehmer ein Angebot abgeben können, die vom öffentlichen Auftraggeber infolge seiner Bewertung des Teilnahmeantrages dazu aufgefordert wurden. Demnach ist eine rechtliche und tatsächliche Identität zwischen den in der Vorauswahl berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmern und jenen Wirtschaftsteilnehmern erforderliche, die Angebote abgeben(EuGH 24.5.2016, C-396/14, Randnummer 40). In diesem seinerzeitigen Urteil hat allerdings der EuGH auch darauf hingewiesen, dass nicht jede Änderung der Identität einen Ausschluss vom Vergabeverfahren erfordert. Wenn in einem Verhandlungsverfahren eine Bietergemeinschaft, die zur zweiten Stufe zugelassen wurde, nachträglich aufgelöst wird und daher nur ein Mitglied der Bietergemeinschaft ein Angebot abgibt, ist das zulässig, sofern dieses Mitglied die ursprünglichen Anforderungen auch allein erfüllt und seine Verfahrensteilnahme nicht zu einer Wettbewerbsbeeinträchtigung der übrigen Bieter führt (EuGH 24.5.2016, C-396/14, Randnummer 48).In diesem Urteil des EuGH vom 24.5.2016, C-396/14, wurde im laufenden Vergabeverfahren sowohl die rechtliche als auch die tatsächliche Identität zwischen dem in der Vorauswahl berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmer und dem Angebot abgebenden Wirtschaftsteilnehmer geändert. Zum einen hatte nämlich nicht die in der Phase ermittelte Bietergemeinschaft am weiteren Vergabeverfahren teilgenommen, sondern nur einer ihrer Wirtschaftsteilnehmer. Zum anderen hatte sich die wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit verringert. Dies hatte im Ergebnis bewirkt, dass der Wegfall von Mitgliedern der Bietergemeinschaft unzulässig war und daher einen Ausschlussgrund erfüllt.

Demgegenüber wurde beim aktuell zu beurteilenden Sachverhalt die Leistungsfähigkeit eines zugelassenen Bieters durch den Erwerb eines anderen Bieters, der ebenfalls zur zweiten Stufe zugelassen wurde, erhöht. Daher war zu prüfen, ob auch in diesem Fall die rechtliche und tatsächliche Identität geändert wurde. Der EuGH stellt zunächst fest, dass die rechtliche Identität von OpEn Fiber nicht geändert wurde. Im Übrigen stellte jedoch der EuGH fest, dass es keine tatsächliche Identität gegeben hat; nach den Ausführungen des EuGH ist das aber – mit Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung –nur dann problematisch, wenn dadurch der Gleichheitsgrundsatz verletzt wird (EuGH 24.5.2016, C-396/14, Randnummer 48). Dabei verletzt die Verschmelzung zweier in der Vorauswahl berücksichtigter Bieter als solche nicht per se gegen den Gleichheitsgrundsatz; es lässt sich aber auch nicht ausschließen, dass die an der Verschmelzung beteiligten Unternehmen sensible Informationen über das Vergabeverfahren ausgetauscht haben. Ein solcher Austausch könnte dem aufnehmenden Bieter ungerechtfertigte Vorteile gegenüber den anderen Verfahrensteilnehmern verschaffen; gegebenenfalls dürfte das Angebot des aufnehmenden Bieters nicht berücksichtigt werden (EuGH 17.5.2018, C-531/16, Randnummer 31). Letztlich konnte jedoch nach Ansicht des EuGH im vorliegenden Fall ein solcher Informationsaustausch nicht festgestellt werden; der Gerichtshof sah kein kollusives Verhalten nachgewiesen, sodass nach den Vorgaben des Vergaberechts kein Ausschluss der OpEn Fiber erforderlich war.

Anmerkungen der AutorInnen:

Das vorliegende Urteil des EuGH bietet wichtige Auslegungshilfen im Bereich des Vergaberechts bei Durchführung zweistufiger Vergabeverfahren. Dabei bezieht sich der EuGH in diesem Urteil umfassend auf seine bisherige Rechtsprechung und stärkt insofern die bereits bisherigen Anforderungen an die Änderung einer zur zweiten Stufe eines nicht offenen Verfahrens oder Verhandlungsverfahrens jeweils mit vorheriger Bekanntmachung zugelassenen Bietergemeinschaft. Demnach ist der Wegfall von Mitgliedern einer Bietergemeinschaft zulässig, wenn das verbliebene Mitglied bzw die verbliebenen Mitglieder die Anforderungen der ersten Stufe auch allein erfüllt bzw erfüllen und diese Verfahrensteilnahme nicht zu einer Wettbewerbsbeeinträchtigung führt. Demgegenüber ist der Hinzutritt neuer Mitglieder einer Bietergemeinschaft grundsätzlich immer zulässig, weil dadurch die Leistungsfähigkeit erhöht und nicht verringert wird. Allerdings muss stets geprüft werden, ob mit dem konkreten Vorgang des Hinzutritts oder Wegfalls von Mitgliedern einer Bietergemeinschaft eine Wettbewerbsbeeinträchtigung verbunden ist. Im vorliegenden Fall hat der EuGH keine Anhaltspunkte dafür erkannt, dass ein solcher wettbewerbsbeeinträchtigender Informationsaustausch gegeben war; anderenfalls wäre ein Ausschlussgrund erfüllt gewesen.

EuGH 11.7.2019, C-697/17