Die staatliche Seefahrbehörde Litauens schrieb die Erneuerung der Kaianlagen der Stadt Klaipèda im Jahr 2014 im Amtsblatt der Europäischen Union aus. Die Ausschreibungsbestimmungen enthielten eine Regelung, wonach Bietergemeinschaften ihre finanzielle Leistungsfähigkeit entweder durch alle an der Bietergemeinschaft beteiligten Bieter gemeinsam oder nur durch einen Bieter nachweisen konnten. Im Rahmen einer Änderung der Ausschreibungsbestimmungen wurde unter anderem vorgesehen, dass der Nachweis der finanziellen Leistungsfähigkeit durch mehrere Bieter einer Bietergemeinschaft sich proportional zudem geplanten prozentuellen Anteil am Gesamtauftrag des jeweiligen Bieters auszurichten hat. Der oberste litauische Gerichtshof, der durch die am Vergabeverfahren teilnehmende Borta AG angerufen wurde, wandte sich im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens unter anderem mit der Frage an den EuGH, ob eine derartige Verknüpfung von finanziellem Nachweis und Beitrag an der Auftragserfüllung zulässig sei.

Hierzu führte der EuGH einleitend aus, dass es Bietern möglich sein muss, sich zum Nachweis der Leistungsfähigkeit auf die Kapazitäten anderer Unternehmen zu stützen, sofern dem Auftraggeber gegenüber nachgewiesen wird, dass die entsprechenden Kapazitäten dem Bieter tatsächlich zur Verfügung stehen (grundlegend Rs C-389/92, Rs C-176/98 und zuletzt unter anderem Rs C-324/14; so auch ausdrücklich § 76 BVergG 2006). Eine Einschränkung dieser Kapazitätenübernahme sei jedoch dann zulässig, wenn aufgrund besonderer Umstände – etwa in Anbetracht der Eigenart eines bestimmten Auftrages und der verfolgten Ziele sowie der damit zusammenhängenden Arbeiten – eine Übertragung dieser Kapazitäten zwischen den Bietern einer Bietergemeinschaft nicht möglich ist. „In einem solchen Fall könnte der Auftraggeber“ laut EuGH „somit verlangen, dass jeder einzelne Teilnehmer die Arbeiten ausführt, die seinen eigenen Kapazitäten entsprechen“. Da eine rein rechnerische Entsprechung zwischen dem Beitrag jedes Bieters zur Auftragserfüllung und dessen Kapazitäten ohne Berücksichtigung der technischen Fähigkeiten der einzelnen Bieter jedoch nicht geeignet ist, sicherzustellen, dass der jeweilige Bieter der Bietergemeinschaft Aufgaben ausführt, für die er geeignet ist, ist eine entsprechende Bestimmungen in den Ausschreibungsbestimmungen unzulässig.

Aufgrund des vorliegenden Urteils des EuGH scheint also eine prozentual proportionale Anforderung zwischen nachgewiesener Kapazität und tatsächlichem Anteil des jeweiligen Bieters an der Auftragserfüllung wohl dann mit dem Vergaberecht vereinbar, wenn diese Entsprechung durch besondere Umstände gerechtfertigt erscheint. Das könnte unter anderem dann der Fall sein, wenn bestimmte Ausbildungsnachweise zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit im Hinblick auf bestimmte Arbeiten zu erbringen sind und es dem Auftraggeber gerade darauf ankommt, dass das Unternehmen, welches die Kapazitäten nachweist auch tatsächlich die entsprechende Leistung im Auftragsfall erbringt. Diese Einschätzung findet wohl auch in der Bestimmung des § 86 des Entwurfs zur Neu-Erlassung des BVergG 2017 Deckung, der zufolge sich Unternehmen auf Kapazitäten von Drittunternehmen im Hinblick auf den Nachweis von Ausbildungsnachweisen nur dann stützen können, wenn diese Drittunternehmen tatsächlich die entsprechende Leistung im Auftragsfall erbringen.

EuGH 5.4.2017,Rs C-289/15