Auch nach Zuschlagserteilung sind aufgrund geänderter Umstände oft noch Vertragsänderungen von den Vertragsparteien, insbesondere bei Verträgen mit langer Laufzeit, erforderlich. Grundsätzlich gilt, dass Änderungen – sofern sie im ursprünglichen Vertrag nicht vorgesehen sind – nur eingeschränkt möglich sind, ohne eine Pflicht zur neuerlichen Ausschreibung zu bewirken. Sofern eine vertragliche Festlegung fehlt, ist die Wesentlichkeit der Änderung maßgebend für die Ausschreibungspflicht. Entsprechend der Rechtsprechung des EuGH liegt eine wesentliche Änderung dann vor, wenn (i) sie zu einer inhaltlichen Neugestaltung im Vergleich zum ursprünglichen Vertrag führt und auf den Neuverhandlungswillen der Parteien hinweist, (ii) durch die neu eingeführten Bedingungen andere Bieter hätten zugelassen werden können oder die Annahme eines anderen Angebotes möglich gewesen wäre, wären sie Teil des ursprünglichen Vertrages gewesen, (iii) eine Auftragserweiterung auf ursprünglich nicht vorgesehen Leistungen in großem Umfang erfolgt, (iv) das wirtschaftliche Gleichgewicht in einer vertraglich nicht vorgesehenen Weise zugunsten des Auftragnehmers verschoben wird (vgl EuGH 19.6.2008, Rs C-454/06). In einem aktuellen Urteil setzte sich der EuGH nun mit der Frage auseinander, ob auch nach Zuschlagserteilung abgeschlossene Vergleichsverträge eine Ausschreibungspflicht auslösen.

Der Staat Dänemark hatte die Lieferung und Wartung eines einheitlichen Kommunikationssystems für alle Notfalldienste des Landes im Oberschwellenbereich im Wege eines wettbewerblichen Dialogs ausgeschrieben. Aufgrund von Problemen, die im Zuge der Vertragserfüllung auftraten, schlossen die Vertragsparteien unter erheblichen beidseitigen Zugeständnissen eine Vergleichsvereinbarung, um unverhältnismäßige Verlustrisiken auf beiden Seiten zu vermeiden; unter anderem wurde eine Einschränkung der Leistungserbringung auf die Polizeieinheiten vereinbart. Das oberste dänische Gericht wandte sich im Zuge eines Nachprüfungsverfahrens an den EuGH mit der Frage, ob zur Behebung der Störung des Vertragsverhältnisses eine Neuausschreibung notwendig oder die Vergleichsvereinbarung zulässig ist. Der EuGH hielt hierzu fest, dass es – insbesondere im Hinblick auf die Bietergleichbehandlung – weder darauf ankomme, ob die Änderungen auf dem Neuverhandlungswillen der Parteien oder äußeren Umständen beruhen, noch die mit der Auftragserfüllung verbundenen Unsicherheiten relevant seien und die Anpassungen durch den Vergleichsvertrag daher zu einer Ausschreibungspflicht führen. Dem Auftraggeber stehe es jedoch frei, derartigen Unsicherheiten mit entsprechenden Änderungsvorbehaltsklauseln im Vertrag zu begegnen.

Das Urteil des EuGH zeigt erneut die Wichtigkeit der Festlegung eines entsprechenden Änderungsvorbehaltes in den Ausschreibungsunterlagen, weil notwendig gewordene Vertragsanpassungen ansonsten nur sehr eingeschränkt möglich sind. Die Beurteilung der Frage, welche Vertragsänderungen im Oberschwellenbereich noch zulässig sind und welche eine Pflicht zur neuerlichen Ausschreibung bedingen, wird in Zukunft durch die Aufzählung in Artikel 72 der Richtlinie 2014/24/EU – welcher im österreichischen Vergaberecht nunmehr seine Entsprechung in § 365 BVergG 2018 findet – jedoch erleichtert. Explizit erwähnt wird in den Erläuterungen zur Richtlinie auch die Möglichkeit zur Vertragsanpassung um auf unvorhersehbare Umstände zu reagieren; insbesondere auch auf technische Veränderungen. Eine Grenze besteht jedoch weiterhin jedenfalls dort, wo eine Vertragsanpassung „das Wesen des gesamten Auftrages verändert“; beispielsweise, wenn sich die Art der Beschaffung grundlegend ändert oder die zu beschaffenden Leistungen durch andere ersetzt werden sollen.

EuGH 7.9.2016, Rs C-549/14